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Berührungen

Ein Bericht von der Weltfrauenkonferenz in Huairou-Peking

Wir sind sehr früh aufgestanden, früher als die Schattenboxer und doch zu spät. Wir, das sind Eva Orth und ich, Gini Schüttler, aus dem Darmstädter Mütterzentrum. Es ist der 5. September 1995, und wir sind auf dem Weg nach Huairou, 55 km außerhalb von Peking gelegen, um uns auf dem NGO- Forum Hilary Clintons Rede anzuhören. Das NGO-Forum ist eine Begleitveranstaltung von Nichtregierungsorganisationen zur 4. Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen (UN), die am 4. September in Peking begann. Die Arbeitsergebnisse des Forums sollen bei der Konferenz der UN eingebracht werden. Eine Reihe der NGO-Frauen hat BeobachterInnen-Status bei der UN-Weltfrauenkonferenz. In der deutschen Regierungsdelegation sind acht NGO-Vertreterinnen, aus den Mütterzentren sind zwei Frauen akkreditiert. Seit zwei Jahren hatten die Mütterzentren - und wir mit ihnen - unsere Teilnahme in Peking geplant. Wie alle anderen NGOs wollten wir Erfahrungen, auch politische, austauschen, neue Impulse bekommen, Netzwerke knüpfen und frauenspezifische Themen einbringen. Auf der anderen Seite über Workshops, Podiumsdiskussionen, Filmvorführungen und Sketche die Arbeit unserer Mütterzentren vorstellen und auf die Probleme hierzulande aufmerksam machen.

Unsere Sprüche »Die Hälfte der Mach den Frauen - Die Hälfte der Arbeit den Männern« oder »Den Frauen die Hälfte des Himmels - Den Frauen die Hälfte der Erde« lösten Heiterkeit oder zumindest ein Schmunzeln bei den chinesischen Frauen aus. Diese Sätze hatten wir auf chinesisch in kaligraphischer Schönschrift auf Bettlaken gemalt. Sie wurden mit anderen, auch wunderbar gestalteten Betttüchern benutzt zur Ausgestaltung der Workshops oder bei den Demonstrationszügen, nach dem Motto »sheets around the world« durch das Forumsgelände verwendet. Das Prunkstück unserer Gruppe war jedoch ein sechs mal sechs Meter großer Quilt, der von vielen Mütterzentren gemeinsam hergestellt worden war. In den Workshops spielte er eine wichtige Rolle, denn die Mütterzentren hatten Quiltdecken von 25 mal 25 cm Besonderheiten aus ihrer Arbeit dargestellt. So konnte die Entwicklungsgeschichte, die Inhalte und das Konzept der Mütterzentrumsbewegung in Deutschland erklärt werden. Glücklicherweise beförderte die freundliche Lufthansa dieses 30 kg schwere Gepäckstück kostenlos. 22 Frauen aus den Mütterzentren der alten und neuen Bundesländer waren nach Peking geflogen, alle bepackt mit Info-Material und den zum Teil schon beschriebenen, sonstigen Requisiten.

Nun rattern wir also, damit es schneller geht mit der Taxe, zum Arbeiterstadion und von dort hinaus nach Huairou. Die Straße führt kerzengerade aus Peking hinaus, rechts und links hängen Fähnchen und Transparente »Equality, Development and Peace« und »Welcome to the 4th Conference on Women in Bejing 95«: Es dauerte lange, bis wir verstanden, dass nur Fahrzeuge mit einer bestimmten Lizenz nach Huairou hinausfahren durften und auch dies nur jeweils von einer »Workerstation« aus. Für uns war das eins der negativen Dinge, die wir bemerkten. Von anderen haben wir von Repressalien der ersten Tage erfahren, von Demonstrationsverboten, von brutalen Sicherheitskräften, obwohl zugegebermaßen die wenigsten Frauen etwas davon mitbekommen haben.

Als wir am 1.9.95 in Bejing eintrafen, demonstrierten Frauen unbehelligt gegen die chinesische Tibet-Politik beim NGO-Forum, ebenso wie Frauen gegen Krieg, Gewalt und Armut protestierten. Endlich in Huairou angekommen, fängt es an zu regnen. Ströme von Wasser fallen vom Himmel, im Nu sind wir trotz Regenschutz nass bis auf die Haut. Wir drängen uns zur Treppe des Konferenzhalle. Hier ist die Stimmung trotz des scheußlichen Wetters einfach umwerfend. Singend, lachend, tanzend schieben sich die Frauen vorwärts und wir mit ihnen. Stolze Inderinnen, hochgewachsene Afrikanerinnen, sympathische Armenierinnen, resolute Amerikanerinnen. Adressen werden ausgetauscht, politische und kulturelle Anschauungen überprüft, denn natürlich gibt es ideologische und kulturelle Differenzen. Dennoch überwiegt der gleiche Dialog: »All women in the world have a common problem. That is that women are considered inferior to men.« Und auch: »When I go back I push harder for change and speak louder for the rights of women.« - »Sometimes I work at home, I feel alone. But when I come here, I know I am not.«

Gemeinsam ist unser fester Vorsatz, keinen Schritt mehr zurückzugehen wie in den vergangenen Jahren, in Zukunft mehr Druck auf unsere jeweiligen Regierungen auszuüben, Gelder für Frauenprojekte zu fordern und unsere Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Und dies, obwohl uns allen klar ist, dass sich auch nach Huairou an den Diskriminierungen von Frauen nur langsam etwas ändern wird. Entschlossen, keinen Schritt zurückzugehen, kämpfen wir uns auch physisch vorwärts. Vorgestern haben wir hier in glühender Hitze gestanden, aufgewühlt bis ins Innerste, laut haben wir »We shall overcome« gesungen, zwischen uns unsere Tasche mit unserem Infomaterial, schwer wie Backsteine. »31.000 women from more than 2.000 organisations in nearly 200 countries and regions converged in Huairou.« Oft hilft ein zustimmendes Nicken oder Lächeln da, wo die Sprache versagt.

Heute sind die Zelte fast leer, alles ist schlammig und trostlos, keine farbenprächtigen Afrikanerinnen sitzen sich streitend im Zelt gegenüber, kein Gedränge vor den Toiletten, keine lautstarke Demonstration auf der Campusstraße, keine Fernsehkameras vor den Shuttlebussen. Nur im Zelt der Philipininnen ist die Welt in Ordnung. Drinnen sirrt die Luft von Gesprächen und Gesängen. Fröhliche Philipininnen bieten Säfte aus eigener Produktion und landestypisches Gebäck an. Hungrig stürzen wir uns drauf. Anschließend tanzen auch wir ausgelassen herum, die Stimmung ist einfach ansteckend. Dancing and meditation, nach eine knappen Stunden sind wir wieder guter Laune.

Bald darauf sitzen wir im Grootszelt. Groots, das bedeutet »Grasroot organisations operating together in sisterhood« und ist ein internationales Frauennetzwerk, dem die deutschen Mütterzentren angehören. Im Grootszelt können wir uns präsentieren, das Geschehen im Zelt teilweise gestalten bzw. unsere Arbeit vorstellen. Heute begrüßen wir als Gäste selbstbewußte Amerikanerinnen, ängstliche Osteuropäerinnen aus Bulgarien und der Ukraine, zwei wunderschöne Chinesinnen, als einzige kinderlos, aber dennoch an unserem Thema interessiert. Auch hier wieder Entschlossenheit und Solidarität untereinander und Einigkeit darüber, die Möglichkeit zu nutzen, internationale Aufmerksamkeit zu erlangen und Druck auf die eigenen Regierungen auszuüben.

Gini Schüttler und Eva Orth

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