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Im Gespräch mit Charlotte Teske

Charlotte Teske war eine der international bedeutendsten Langstrecklerinnen der achtziger Jahre. Sie war darüber hinaus eine Pionierin in Sachen Frauen- Laufsport. Heute arbeitet sie als Trainerin im Frauensportstudio Lady Life und bei der Barmer Ersatzkasse. Charlotte Teske gehört ohne Zweifel zu den "großen Darmstädterinnen". Für stellte sie sich freundlicherweise für ein Interview zur Verfügung.

Wie sind Sie zum Laufen gekommen?

1966 bin ich nach Darmstadt gekommen und in den ASC Darmstadt eingetreten. Dort war ich erst einmal im leichtathletischen Fünfkampf aktiv, aber dafür war ich nicht prädestiniert, weil ich zu langsam war. Dann habe ich mich im Winter mehr den längeren Strecken zugewandt und nahm an Waldläufen teil, die heute Crosslauf genannt werden. Frauen durften 1966/67 allerdings höchstens 600 m laufen.

Was ja nicht gerade eine Langstrecke ist!

Das ist überhaupt keine Langstrecke. Ab 1971/72 wurden Frauen nach und nach auf längeren Strecken zugelassen, bis hin zum Marathon einige Jahre später. Dieser wurde schließlich auch olympisch und 1982 habe ich bei den ersten Europameisterschaften in Athen teilgenommen. Ich lief auch bei der Weltmeisterschaft 1983 in Helsinki und 1984 in Los Angeles schließlich bei den Olympischen Spielen, d.h. bei allen Premieren für Frauen im Marathonberiech war ich dabei.

Als Pionierin gewissermaßen?

Naja, als Pionierin...Ich war eben einfach dabei, habe mich qualifiziert und teilgenommen.

Jetzt haben Sie schon einiges über Ihre sportliche Entwicklung gesagt. Lief dies alles geradlinig, oder gab es auch Probleme?

eigentlich nicht. Ich habe in der Anfangszeit, als ich noch vollberuflich als Kinderkrankenschwester berufstätig war, täglich zwischen acht und zehn Stunden gearbeitet, eher noch mehr. Damals bin ich teilweise schon um viertel nach vier aufgestanden und habe das erste Mal trainiert, bin dann in den Dienst gegangen und am Abend, wenn ich nach Hause kam, wurde noch einmal trainiert. Damit habe ich das Fundament für die Zeit gelegt, die danach kam. Einige Jahre später habe ich den Beruf aufgegeben und mich auf das Laufen konzentriert.

War es für Sie von Bedeutung, als Frau im Hochleistungssport zu sein oder war das nie ein Thema?

Ganz selten, höchstens wenn es im Wettkampf mit Männern Schwierigkeiten gab. Da dachte ich oft, es ist doch noch nicht ganz so normal, wenn eine Frau leistungsstärker ist. Aber auch das war nicht sehr häufig, ich habe einige wenige Male merkwürdige Erlebnisse gehabt, die sich dann aber hinterher aufgeklärt haben.

Und im Training?

Dort konnte ich von Männern profitieren, insbesondere in der Trainingsgestaltung. Wichtig waren auch internationale Erfahrungen von denen ich lernen konnte.

Wie hat der Hochleistungssport Sie - rückblickend - als Person geprägt?

Ich würde sagen, ich bin durch Niederlagen groß geworden, denn ich bin ja nicht als Weltmeisterin vom Himmel gefallen, sondern habe mich als ganz normale Bürgerin hochgearbeitet. Mir hat Sport Spaß gemacht und ich habe versucht, das Bestmögliche aus mir herauszuholen. Dabe habe ich erst ab einem gewissen Zeitpunkt auch häufiger Rennen gewonnen. Das hat meines Erachtens sehr viel mit dem Alltag zu tun, auch dort gibt es Niederlagen, aber eben auch den Sonnenschein, mit dem man umgehen können muss.

Wenn Sie Ihr Leben als Hochleistungssportlerin Revue passieren lassen, fällt Ihnen dann spontan ein besonderes Highlight ein?

Es gibt einige schöne Erlebnisse, zum Beispiel, wenn ich einen deutschen Rekord ohne Tempomacher gelaufen bin. Rückblickend kann ich sagen, dass ich meine Rekorde alleine errungen habe.

Welche Rekorde haben Sie aufgestellt?

Über die Strecken angefangen mit den 5.000 m, über die 10.000 m, Halbmarathon, 25 km bis hin zum Marathon. Über 25 km habe ich jahrelang die Weltbestzeit gehalten, von 1983 bis zur deutschen Wiedervereinigung.

Und dabei haben Sie mehrere Rekorde über die gleiche Strecke aufgestellt, d.h. Sie haben Ihre eigenen Rekorde immer wieder selbst verbessert.

Ja. Ein Jahr nach der deutschen Vereinigung sind diese Rekorde dann gebrochen worden, aber dazu sind sie schließlich da. Deswegen habe ich auch nicht getrauert - aber es hat schon recht lange gedauert, bis sie verbessert worden sind. Die meisten dieser Rekorde bin ich 1982/83 gelaufen, und da war ich auch schon kein "Frischling" mehr mit meinen 33 bzw. 34 Jahren.

Können Sie sich an ein kurioses Erlebnis erinnern?

Ja, als ich etwa 1972 anfing, längere Strecken zu laufen, was für Frauen damals noch völlig unüblich war. Ich lief mit meinem Mann eine längere Strecke im Wald, wo uns der damalige Bundestrainer für Marathon (damals natürlich nur für den Männer-Bereich, den Frauen-Bereich gab es ja noch gar nicht) begegnete. Dieser Trainer war dermaßen entrüstet über mein Tun, dass er meinen Mann beschimpfte, er sei ein "Mädchenschinder", weil mit mir durch den Wald lief...

Unglaublich!

Das waren damals noch ganz andere Zeiten. Ich erinnere mich auch noch, dass ich einmal beim Training eine Frau beobachtet habe, die mit Ihrem Pelzmantel über den Arm joggte. Als sie mich kommen sah, hörte sie sofort mit dem Laufen auf und ging, wobei sie wieder in ihren Pelzmantel schlüpfte.

Oh, warum denn das?

Sie wird sich dermaßen geschämt haben, als Frau im Wald zu laufen, dass sie mit Pelzmantel zum Wald gegangen ist, damit niemand sehen konnte, was sie vorhatte.

Gibt es auch ein Tiefschlag-Erlebnis für Sie?

Ja, 1983 bei der Weltmeisterschaft in Helsinki, wo ich nach 30 km im Marathon ausgestiegen bin. Dort war ich nicht in der nervlichen Verfassung, um einen Marathon zu laufen.

Und das verrückteste Erlebnis?

Das war 1982 in Boston, als ich dort gewonnen habe, und zwar völlig unerwartet, weil Grete Waitz dort am Start war, die zu der Zeit in den USA unde auch weltweit als die "Queen of the Road" galt. Damals war sie auch tatsächlich auf Weltrekordkurs und ist dann aber einige Kilometer vor dem Ziel wegen Muskelkrämpfen aus dem Rennen gegangen - und dvon habe ich nichts mitbekommen. Ich lag an zweiter Position und sie hatte die ganze Zeit drei oder vier Minuten Vorsprung gehabt. Als ich ins Ziel kam, fragte ich: "Wo ist Grete, wie ist sie gelaufen?" und mir wurde gesagt: "Grete? Never finished!"

Das muss ja ein wahnsinniges Erlebnis gewesen sein!

Ja, das war Boston. Zu dem Zeitpunkt bedeutete ein Boston-Sieg soviel wie eine olympische Goldmedaille und war einfach der Durchbruch für mich schlechthin. Damit war für mich auch der Weg in den USA geebnet.

Wie kam es dann zu dem Entschluss, mit dem Hochleistungssport aufzuhören?

Ich habe 1991 gemerkt, dass ich verletzungsanfälliger wurde und immer mehr in das Training investieren musste. Hinzu kam eine Virusinfektion sowie ein leichter Bandscheibenvorfall.

Laufen Sie auch jetzt noch?

Ja, ich laufe noch täglich.

Weil es Ihnen viel bedeutet?

Es gibt mir sehr viel, insbesondere Ausgeglichenheit. Manchmal laufe ich auch mit einer Gruppe, aber meistens alleine.

Haben Sie keine Angst als Frau alleine im Wald?

Ich kann mich in den fast 30 Jahren, die ich jetzt laufe, an einige Begebenheiten erinnern, wo ich mich bedroht gefühlt habe. Das waren nicht nur Männer auf Fahrrädern, sondern auch Hunde und deren Halter. Ich versuche mich dann zu konzentrieren und überlege, wie ich mich im Falle eines Angriffs verhalte. Schnell laufen, die gesamte Kraft zusammennehmen ist meine Taktik. Das habe ich bereits zweimal mit Erfolg angewandt. Es kommt darauf an, sich als Frau in eine solche Situation hineinzuversetzen, möglichst keine Angst zu haben und sich vorher schon Strategien zu überlegen.

Sie arbeiten jetzt ja im Frauensportstudie Lady-Life. Wie kam es dazu?

Nachdem ich mit dem Leistungssport aufhörte, bot es sich an, hier als Trainerin zu arbeiten. Ich gebe hier meine Erfahrungen weiter, aber auch bei der Barmer Ersatzkasse, woc ich Walking- und Joggingkurse anbiete. Das ist für viele ein Anreiz, wie der Frauenlauf zum Beispiel zeigt. Allein aus diesem Studio nehmen zwischen zehn und zwanzig Frauen teil.

Wie entstand der Darmstädter Frauenlauf, der neben Berlin und Hamm zu den bedeutendsten Frauenläufen in Deutschland gehört?

Es war ein Wunsch von mir, einen Frauenlauf zu veranstalten, denn Frauen gehen bei den normalen Volksläufen leicht unter. In vielen Frauen liegt ein gorßes Potenzial, aber oft trauen sie sich nicht. So kam es zu der Idee, einen solchen Lauf am Muttertag anzubieten.

Das war Ihre Idee?

Ja, und sie ist dann mit dem ASC Darmstadt realisiert worden, wobei auch die Stadt Darmstadt und eine Vielzahl an HelferInnen und Sponsoren dazu beitragen, dass dieser Lauf stattfinden kann.

Welche Frauen trainieren hier im Frauensportstudio?

Eigentlich Frauen aller Altersgruppen. Die jüngsten sind etwa 17 Jahre alt, die älteste ist bereits 75.

Und es gibt auch Anleitung für die Frauen?

Ja, es gibt Sonderveranstaltungen, wie Wirbelsäulen- und Ganzkörpergymnastik, Laufen oder auch Aerobic. Für die Geräte machen wir ein Probetraining und dann - wenn es den Frauen gefällt - einen individuellen Trainingsplan, je nach ihren Bedürfnissen.

Kommen auch Frauen hierher, die schlechte Erfahrungen beim Sport mit Männern gemacht haben?

Es kommen gelegentlich Frauen, die mit ihrem Freund gelaufen sind und dort überfordert wurden. Eine Trainerin stellt sich eben doch auf die Leistungsschwächeren ein, was auch sehr wichtig ist, sonst macht es schnell keinen Spaß mehr.

Haben Sie ein paar Tipps, die Sie Sportanfängerinnen geben würden?

Zunächst sollten sie sich eine Ausdauerbasis über Schwimmen, Laufen oder Walken verschaffen, es kann auch Rad fahren oder Skilanglauf sein. Dies sollte erst einmal mit dme Ziel geschehen, eine halbe Stunde oder 45 Minuten mit einem Puls von etwa 110 bis 130 Schlägen in der Minute zu trainieren, also im aeroben Bereich. Gleichzeitig ist auch die muskuläre Stabilisation wichtig, etwa durch leichtes Gewichtstraining, gerade für den Rücken und den Bauch. Im Rücken haben fast alle, die hierher kommen, Probleme.

Und die psychologische Seite? Würden Sie sagen, dass Frauen mit Sport ihr Selbstbewußtsein aufbauen würden?

Dem würde ich auf jeden Fall zustimmen. Sie strahlen ein anderes Selbstbe2wußtsein aus, wenn Sie traininert sind und aufrechter durch die Welt gehen.

Können Sie den MATHILDE-Leserinnen etwas mit auf den Weg geben?

Um sich in der eigenen Haut wohl zu fühlen, ist es wichtig, etwas für sich und den eigenen Körper zu tun, gerade auch um dieses Selbstbewußtsein zu erlangen. Deswegen würde ich allen mit auf den Weg geben, es einfach einmal mit irgendeiner Sportart zu versuchen. Ein gutes Körperbewußtsein wirkt sich auf alle Lebensbereiche aus. Frauen sollten nicht immer nur für andere dasein, etwa für die Familie oder für den Beruf, sondern sich auch für sich selber Zeit nehmen. Dadurch kann das ganze Leben wieder mehr ins Gleichgewicht kommen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Marion Möhle.

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