Werden Sie auch eine

MATHILDE

Das Geschäft mit den Genen

Anfang der achtziger Jahre haben australische WissenschaftlerInnen aus dem Eierstockgewebe einer Schwangeren das Relaxin-Gen isoliert, das eine Schlüsselrolle während der Geburt spielt. Für dieses Gen erhielten die ForscherInnen 1991 ein Patent. Aber können Gene bzw. Erbanlagen überhaupt "erfunden" werden? Was ist das "Neue" an einem menschlichen Gen?

"Erfundene Gene"

Vergeblich hatten die Grünen im vergangenen Jahr einen Einspruch im Europaparlament gegen dieses Patent eingelegt. Er wurde vom Europäischen Patentamt (EPA) zurückgewiesen.
Vergeblich hatten sie vorgetragen, dass dieses Gen ja "seit Zehntausenden von Jahren im Eierstockgewebe schwangerer Frauen" existiere und es sich deshalb nicht um eine "Erfindung", sondern um eine - prinzipiell nicht patentfähige - Entdeckung handeln kann.
Und vergeblich hatten sie insofern gegen eine auf Gewinnn bedachte Entnahme von Gewebe schwangerer Frauen protestiert, was nicht nur als Verstoß gegen die "guten Sitten", sondern als Eingriff in dei Menschenwürde einzustufen ist.
Warum solch ein Wirbel um Patentrichtlinien, die auf den ersten Blick als Angelegenheit von Rechtsschutz zu den eher "trockenen" Gebieten gehören?
Spektakuläre Deals in jüngster Zeit zeigen, um welche Zusammenhänge es in diesem Bereich geht:

Menschliches Erbgut als Handelsware

Ein kalifornisches biotechnologisches Unternehmen bezahlte der New Yorker Rockefeller-Universität zwanzig Millionen Dollar für eine Exklusivlizenz, die die Vermarktung eines menschlichen Gens betrifft. Dieses Gen spielt eine wichtige Rolle bei der Regulierung des Körpergewichts. Wenn mit seiner Hilfe ein Medikament gegen Fettleibigkeit und Fettsucht hergestellt werden kann, bedeutet das eine hohe finanzielle Ausbeute für die Lizenzträger.

Solche Geschäfte von größeren Biotechnfirmen machen bewußt, was in den Pro-Werbekampagnen für die Genforschung in der Regel übergangen wird: Menschliches Erbgut wird zur Handelsware und kann plötzlich ein Vermögen wert sein. Weltweit wird die Zahl der bisher zum Patent angemeldeten Gene von Insidern auf einige Hundert geschätzt. Bis zum Jahr 2000 erwartet man für die Gentechnik Umsätze von weltweit rund 170 Millarden Mark und bis zu zwei Millionen neue Arbeitsplätze auf diesem Gebiet, allein in Europa.

Patente garantieren Profit

Solche Prognosen bleiben immer vage Vorhersagen, aber in diesem Fall zeigen sie den kommerziellen Druck in der Patentdebatte an. Leicht vorstellbar ist die Tatsache: Wer ein Patent zum Beispiel für ein Gen erhält, das dann wirklich zur Herstellung von Medikamenten gegen Leiden wie Krebs, AIDS, Alzheimer etc. einsetzbar ist, hat finanziell ausgesorgt.
So wird in der Genbranche mehr Geld in den Patentschutz investiert, als in anderen Industriezweigen.
In fachwissenschaftlichen Kreisen haben sich auf diesem Gebiet klare Fronten gebildet. Die GIG (Genetic Interest Group) versteht sich als Schirmorganisation von über einhundert Selbsthilfe-Gruppen, deren Angehörige von erblichen Erkrankungen betroffen sind. Sie sprechen sich klar gegen jede Patentierung von Erbmaterial aus. Bestürzt sind sie darüber, dass "der Trend zum Patent die Entwicklung der Gentherapie verlangsamen oder gar stoppen wird."

Patentierte Heilung

Bisher waren ärztliche Heil- und Diagnoseverfahren vom Patentschutz kategorisch ausgeschlossen. Ärztliches Handeln sollte nicht durch das gewerbliche Monopol einzelner MedizinerInnen oder Pharmaunternehmen auf bestimmte Therapieformen eingeschränkt werden. Insofern sollten allen entsprechend ausgebildeten ÄrztInnen und damit ihren PatientInnen prinzipiell jede Behandlung zur Verfügung stehen. Dadurch wäre auch der medizinische Fortschritt gewährleistet.
Die GIG vertritt die Ansicht, dass jedes Gen ein wichtiger Bestandteil des menschlichen Körpers ist und niemand Rechte über diesen fundamentalen Teil von uns selbst bekommen sollte.
Die Gegenseite, vertreten durch wichtige Forschungseinrichtungen wie das MRC (Medical Research Center) sieht die Sache anders. Einer ihrer Vertreter brachte es auf den Punkt: "Etwas, was jedem gehört, gehört niemanden." Und so stehen hier die Interessen der biotechnologischen Unternehmen im Vordergrund. Gen-Tests und andere technische Errungenschaften könnten nicht weitergegeben werden, wenn nicht zuvor die Besitzrechte geklärt seien.

Keine europäische Patentrichtlinie

Während in den USA das Geschäft mit den Genen schon lange Alltag ist, sind in den Staaten der Europäischen Union noch nicht alle Hürden gefallen. Vor sieben Jahren hatte die Europäische Kommission ihren ersten Entwurf einer Richtlinie für Patente biotechnologischer Erfindungen vorgelegt. In den folgenden sieben Jahren wurde von der Bio- und Genindustrie fleissig Lobby für ihre Interessen betrieben. Aber auch die KritikerInnen im Europäischen Parlament blieben nicht stumm.
Anfang März diesen Jahres setzte sich das EU-Parlament erstmals über einen Vorschlag des Vermittlungsausschusses hinweg und fegte ein von ihm ausgehandeltes Kompromisspapier zu den Bio- und Genpatenten endgültig vom Tisch. Das vorläufige Scheitern einer europäischen Patentrichtlinie bedeutet aber keineswegs das Ende der Genpatente. Die EU-Kommission kündigt einen weiteren Anlauf an und bis dahin sind die international federführenden Patentämter, darunter das Europäische Patentamt am Zuge. Sie werden bei ihrer bisherigen Praxis bleiben und durch die Erteilung von Patenten auch in ethisch heiklen Fragen Rechtstatsachen schaffen.

Keine öffentliche Diskussion

Es ist wichtig, den Dingen nicht einfach ihren Lauf zu lassen, sondern die Entwicklung in der Gen-Patent-Frage zu verfolgen.
Die Zurückweisung von Einsprüchen, wie ihn die Euro-Gebühren erfahren haben, darf nicht entmutigen. Vielmehr muss weiter eine wirklch öffentliche Diskussion zur Frage einer "Ethik der Patentierung menschlicher Gene" gefordert werden.
Bleibt sie aus, wird in noch vielen Fällen Profitstreben ethische Tabus brechen und menschliches Erbgut in "patentmonopolistischen Privatbesitz" überführt werden.

Regine Jochmann-Munder

zurück

MATHILDE