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»Wer schmeißt denn da mit Lehm?«

Das Kabarett ist eine junge Kunst. Mit ihren 94 Jahren auf dem Buckel läuft sie noch erstaunlich aufrecht. Oder ist sie auch schon ein wenig gebeugt von dem kräftezehrenden Versuch, die erfolgreichen Künstlerinnen schneller in der Mottenkiste des Vergessens verschwinden zu lassen als ihre Kollegen?

Bedeutete ein Kabarett einst nur eine Schänke oder Trinkstube, so verweilt heute kein Gedanke beim Alkoholkonsum. Vielmehr wirde er bei kurzen, humoristischen, poetischen oder polemischen Darbietungen von Sketchen, Chansons oder Pantomimen anlangen. Er wird vor einer Bühne verweilen, deren Publikum jedoch keinesfalls nur erheitert werden soll. Häufig wird ihm der Humor die Tore öffnen für Gedanken über die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit im täglichen, privaten oder öffentlichen Leben. Doch lassen wir die Gedanken zurückschweifen zu den Anfängen.

Ermöglicht wurde das Kabarett erst durch den Zusammenbruch des Kaiserreiches und das damit verbundene Ende der Zensur. Ironischerweise wurde das erste Kabarett in Deutschland, das "Überbrettl", am 200. Geburtstag der preußischen Monarchie eröffnet. Vielleicht nicht ganz so erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Gründer aus den Reihen der konservativen Aristokraten und Literaten kamen. Von jetzt an reißt die Kette der bekannt gewordenen Kabarettistinnen und Kabarettisten nicht mehr ab.

Wer jedoch waren die Frauen, die von Anfang an auf und hinter der Bühne wirkten? Die bekannteste ist sicherlich Erika Mann. Hing ihr zunächst der Ruf an, sie sei verwöhnt, anspruchsvoll und unpolitisch, so änderte sich dies durch die drohende Machtübernahme der Nationalsozialisten gründlich. Am 1.1.1933 eröffnete sie ihr Kabarett die "Pfeffermühle" in München. Der größte Teil der aufgeführten Texte stammte aus ihrer Feder, wobei sie ihre politischen Ansichten eher literarisch und weniger direkt formulierte. Doch selbst dieses Vorgehen schützte sie nicht vor ihrer Ausbürgerung 1935. Bereits seit März 1933 war aus der "Pfeffermühle" wegen der Nationalsozialisten ein schweizerisches Exilkabarett geworden. Von dort ging sie mit ihrem antinazistischen Programm auf Tourneen durch weite Teile Europas. Abhängig vom Auftrittsland und dessen Beziehung zu Deutschland mußte sie ihr Programm verändern - immer mit dem Ziel, doch noch eines der Herzstücke beibehalten zu dürfen.

Ein völlig anderes Publikum ereichte Claire Waldoff, die mit ihrem Portrait der "Hannelore vom Halleschen Tore" bekannt wurde. Sie verfolgte keinerlei literarische Absichten. Ihre Kritik richtete sich auf den neu kreierten Frauentyp des "Mannweibes mit dem Bubikopf". Sie widmete deren scheinmondänen Auftreten u.a. folgende Zeilen: "...das boxt und foxt und golft und steppt/ und unter uns gesagt auch neppt". Ihre Karriere reichte bis zu Soloauftritten im "Wintergarten" und im "Kabarett der Komiker", um dann durch den Stempel "unerwünscht" ab 1933 von den Nationalsozialisten beendet zu werden. Eine schillernde Gestalt war auch Josephine Baker, die durch ihren Bananenrock und ihre Charleston-Aufführungen berühmt wurde. Der Charleston sorgte in den 20er Jahren für viel Wirbel, da seine Erotik als anstößig und herausfordernd galt. Ihm wurde sogar nachgesagt, durch die harten Stöße beim Tanzen, die sich bis in den Unterleib fortsetzten, könnten dort Organe geschädigt werden. Dies könne zu Lähmungen, ja sogar zum Tod führen. Nichtsdestotrotz bewirkte Josephine Baker durch ihre Revue-Auftritte als Wilde, Vamp und Charleston-Königin, dass in Berlin die erste "Negerbar" ihre Türen öffnete und der Charleston immens populär wurde. Modebewußte Zuschauerinnen, die vor kurzem noch durch ihre Blässe auffielen, schmierten sich schwarze Farbe ins Gesicht, um dem neuen "Modetrend Josephine Baker" nachzueifern. Fast zynisch mutet es an, dass die populäre Künstlerin 1926 anläßlich einer Karnevalsveranstaltung gebeten wurde, die schönste falsche Negerin zu küren. Zusätzlich zu ihren Auftritten gründete sie ihr eigenes Kabarett " Chez Josephine".

Berlin und immer wieder Berlin war es, wo Künstlerinnen ihre Träume verwirklichten. So auch Trude Hesterberg, die 1921 im Keller des Theater des Westens ihr "Wilde Bühne" aufmachte. Sie bot literarisch-politisches Kabarett, das von Berliner Milieuliedern und spritzig-frivolen Chansons lebte.

Berliner Gestalten galt auch das Schaffen von Valeska Gert. Sie stellte tanzend, mit clownesken Übertreibungen und kabarettistischer Pointierung Figuren aus dem sozialen Abseits dar, darunter Nutten, Kupplerinnen, gefallene Mädchen und Betrogene. Sie entwickelte eine ausgeprägte Bösartigkeit gegenüber allem Verlogenen.

Nun bleibt noch der Sprung in die Zeit nach dem Weltkrieg. Berlin hat seine kulturelle Mittelpunktstellung eingebüßt. Eines der ersten Nachkriegskabaretts wird denn auch in Düsseldorf gegründet. Lore Lorentz und Hanne Wieder eröffnen 1947 das "Kom(m)ödchen". Ihr erstes Programm "Positiv dagegen" wird noch in Trümmern aufgeführt. Als erstes deutsches Ensemble gehen sie nach dem Zweiten Weltkrieg auf Auslandstournee, wobei ihre Schau geprägt ist von dem Bemühen, gegen das Vergessen und gegen die bürgerliche Bequemlichkeit zu wirken.

Ein Blick auf die Kabarettbrettl heute zeigt eine enorme Präsenz von Kabarettisten, doch in einigen Nischen agieren auch ihre Kolleginnen. Mehr Frauen brauchen wir im kabarettistischen Rampenlicht, nicht nur auf den Kleinkunstbühnen, die unsere Belange mit Witz und Schärfe, literarisch oder vulgär darstellen, karrikieren, dem Vergessen, dem Dämmern im Halbdunkel entreißen.

Anja Spangenberg

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