Werden Sie auch eine

MATHILDE

FrauenAngstRäume

Dreiviertel aller Deutschen leben in Städten, obwohl Städte besonders für Frauen Orte der Gewalt sind. Erstaunlich ist deshalb, dass es nach wie vor nur wenige Forschungsarbeiten zu dieser Situation gibt. Um so erfreulicher ist das Erscheinen von Julia Kriegs Diplomarbeit zum Thema "Stadt und Gewalt: FrauenAngstRäume". Sie befasst sich mit der Wechselbeziehung zwischen Stadt und Frau aus ökopsychologischer Sicht. Im folgenden stellt sie einige Aspekte ihrer Forschung vor. Frauen, die weitergehendes Interesse an ihrer Arbeit haben, können sich gerne bei uns melden.

Die Stadt ist ein Ort der Gewalt. Frauen sind Opfer dieser Gewalt - in mehrerer Hinsicht. Sie werden tagtäglich belästigt, beraubt, geschlagen, vergewaltigt und ermordet. Dabei gibt es Formen der Gewalt, deren Opfer vor allem Frauen sind. Diese sind Ausdruck von struktureller Gewalt in der Gesellschaft. Frauen sind folglich nicht nur Opfer von direkten, körperlichen Übergriffen, sondern auch Opfer einer gesellschaftlichen Haltung, die von Frauen und Männern getragen wird. Die Tatsache, dass per Gesetz nur Frauen Opfer von Vergewaltigungen sein können, bestätigt dies. Die Tatsache, dass es ebenfalls per Gesetz die Vergewaltigung in der Ehe nicht gibt, belegt dies um so mehr.

Darüberhinaus werden ihnen tagtäglich Beschränkungen auferlegt, deren Wurzeln bis in die früheste Kindheit zurückreichen. Sie werden auf Vermeidung sozialisiert, um sie vor ihrer potentiellen Opferwerdung zu schützen. Doch dieser "Schutz" wird sehr leicht zu einem Ausgeliefert-sein, da er die Wehrhaftigkeit unterminiert. Gleichzeitig transportiert diese Haltung, dass einer "anständigen" Frau nichts passieren kann.

Aus diesem Grund schlägt Frauen nach einem Übergriff oftmals auch die geballte Opferfeindlichkeit entgegen, die den Täter weitgehend von seiner Schuld und Verantwortung befreit. Auf die dadurch entstehende vermeintliche Schuld folgt Scham und Schweigen.

Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass die meisten Übergriffe im privaten Raum von Freunden, Verwandten oder Bekannten verübt werden. Denn in diesem Bereich sind Frauen schutzlos - körperlich, rechtlich und moralisch. Hier greft das Klischee vom fremden Triebtäter nicht, also lügt frau oder hat selbst schuld. Diese Stigmatisierung gerade auch von Frauen gegenüber Frauen schützt dieselben vor der Erkenntnis, dass es vor Übergriffen im privaten Raum keinen Schutz gibt.

Im öffentlichen Raum hingegen gibt es Schutz, nämlich durch Einschränkung und Vermeidung. Obwohl es hier statistisch gesehen weniger Übergriffe gibt, ist die Unsicherheit und Angst größer. Dies liegt zum einen an der gesellschaftlichen Vorstellung, dass dieser Raum gefährlicher sei, was weitgehend durch die Filmindustrie und Printmedien untermauert wird. Ferner erlaubt "der fremde Triebtäter" das Wegschieben und erfordert kein Nachdenken über die eigene Person und ihre Einstellungen. Der öffentliche Raum erlangt somit den Charakter des diffusen Gefahrenortes, an dem es - vergleichbar mit dem Wald im Märchen - "dunkle Mächte" gibt.

Dieses Stigma "Gefahrenort" wird ergänzt durch die Monofunktionalität und Zweckbauweise in den städtischen Räumen. Es gibt nur wenige Orte in Städten, die zum Aufenthalt einladen. Nachts wird dieser Eindruck noch verstärkt, denn es zeigt sich, dass die Stadt nicht für Menschen gemacht ist. Die Funktionalität bestimmt das Bild und die Menschen müssen sich einfügen. Doch die Zweckorientierung führt zu Anonymität und verhindert Identifikation mit dem städtischen Raum. Diese Unpersönlichkeit kann auf der einen Seite zu dem Wunsch nach Aneignung des Raumes führen, was vor allem für Männer zuzutreffen scheint. Bei Frauen hingegen produziert sie vorwiegend Unsicherheit, die bei unerwarteten oder unangenehmen Situationen schnell zu Angst werden kann. Eine von Männern geprägte Stadtplanung hat an den Bedürfnissen der Frauen vorbei eine funktionale Stadt und damit zugleich eine Vielzahl von FrauenAngstRäumen geschaffen.

FrauenAngstRäume sind existent und das aus den verschiedensten Gründen. Demzufolge gibt es auch vielfältige Ansatzmöglichkeiten, um sie abzuschaffen. Die städtische Planung und Architektur ist der naheliegendste und am einfachsten zugängliche Bereich. Die Phantasie muß Einzug halten, um die Städte so zu gestalten, dass sich Menschen in ihnen wohlfühlen und sie nicht das Gefühl haben, den Funktionen untergeordnet zu sein und sich in einem Distanz-Überwindungs-Raum zu befinden. Hierbei gilt es, Frauenbelange zu berücksichtigen, denn sie nutzen den öffentlichen Raum - zumindest tagsüber - auf vielfältige Weise. Die Kriterien, die eigentlich für alle öffentlichen Räume gelten, sind: Vermeiden von mangelnder Übersichtlichkeit und Einsehbarkeit, ausreichende Beleuchtung, aber keine Blendung, Möglichkeit, genug Distanz wahren zu können, schnelle und einfache Orientierungsmöglichkeiten, eventuelle Überwachung (informell und formell), behagliche Gestaltung. Autos und Verwaltung dürfen Menschen nicht weiter verdrängen. Auf diese Weise wären schon einige AngstRäume vermeidbar: Unterführungen, U-Bahnen, Parkhäuser, reine Geschäfts- bzw. Industrieviertel.

Doch diese Maßnahmen erscheinen fast als Kosmetik, die zwar sinnvoll, aber nicht ausreichend ist. Denn die eigentliche Angst ist nicht in den Räumen an sich begründet, sondern in der gesellschaftlichen Einstellung gegenüber Frauen.

Ein wesentlicher Schritt wäre sicherlich ein Überdenken und Ändern der Vorstellung, die Männer als agierende Subjekte und Frauen als passive Objekte deklariert. Das Verlangen und der Kampf von Frauen, als Subjekt - also als gleichberechtigt - anerkannt zu werden, tritt in vielen Bereichen zutage.

"Deshalb sage ich dir zu guter Letzt, dass allein die Einfalt die Ursache deiner gegenwärtigen Auffassung ist. Darum werde wieder du selbst, bediene dich wieder deines Verstandes und kümmere dich nicht weiter um solche Torheiten! Denn eines mußt du wissen: alle Bosheit, die allerorts über die Frauen verbreitet werden, fallen letzten Endes auf die Verleumder und nicht auf die Frauen zurück." (Christine de Pizan, Das Buch von der Stadt der Frauen, 1405)

Julia Krieg

zurück

MATHILDE