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MATHILDE

Frauen in Therapie

Ich war damals 33 Jahre, lebte in einer festen Beziehung und fühlte mich eigentlich wohl. Von meinen Eltern war ich schon seit 15 Jahren weggezogen, pflegte aber regelmäßigen Kontakt zu ihnen und zu meinen Geschwistern. Plötzlich überfiel mich eine Reihe von Alpträumen, die einen sexuellen Mißbrauch an mir seitens meines Vaters zum Inhalt hatten. Gleichzeitig flammte meine alte Neurodermitis zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder auf. Als sowohl meine Ängste und Zweifel als auch meine Hautprobleme immer unerträglicher wurden, entschloß ich mich zu einer Psychotherapie.

Die Suche nach einem Therapeuten begann. Sie führte erste zu einer "feministischen" Therapeutin, für die ich nach dem Erstgespräch "noch nicht weit genug war", da ich die Verhaltenstherapie für eine grundsätzlich andere Methode hielt als eine erlebnisorientierte Therapie. Dann gelangte ich zu einer Therapeutin, die mich nur deshalb annehmen wollte, weil ich Künstlerin bin und weil sie, wie sie sagte, zu den Architekturstudentinnen auch andere Künstlerinnen in ihre PatienInnensammlung aufnehmen wollte. Endlich landete ich bei einem kompetenten Mann, einem Arzt und Psychotherapeuten. Kompetent mußte er wohl sein, denn er hielt öffentliche Vorträge und die Wartezeit betrug drei bis fünf Monate.

In der ersten Sitzung erzählte ich Dr. G. von meinen Alpträumen und schilderte die Mitglieder unserer Familie in ihren Beziehungen zueinander. Es entstand ein Familienbild, auf Grund dessen Dr. G. mich bestätigte, ich sei Opfer eines sexuellen Mißbrauchs und mein Vater der Täter. Ich fühlte mich in meinem schrecklichen Verdacht verstanden, angenommen und unterstützt. Das Gefühl der Schuld, einen solchen Verdacht gegen meinen Vater zu hegen, schien weniger schwer auf mir zu lasten.

Daraufhin brach ich per Brief den Kontakt mit meinen Eltern bis auf weiteres ab. In der zweiten Sitzung, sechs Wochen später, teilte ich dies Dr. G. mit. Ganz im Gegensatz zur ersten Sitzung insisitierte er, ich solle meine Kindheit ausgewogener sehen, mein Brief an die Eltern sei zu einseitig, ich würde sie nur kritisieren. Seine therapeutische Intervention gipfelte in folgendem:

Dr. G.: »Ihr Vater sehnt sich danach, dass man mit ihm fürsorglich umgeht. Er könnte es nicht annehmen, obwohl er sich danach sehnt.«.
Ich:  Kann sein.«
Dr. G.: »Aber da könnten Sie mal ein gutes Werk tun."
Ich: »Inwiefern?«
Dr. G.: »Indem Sie irgendwo mal fürsorglich mit Vati umgehen. Sie drücken ihn in den Lehnstuhl, wickeln ihm die Decke um die Füße.«
Ich: »Da käme er sich verarscht vor."
Dr. G.: »Man kann's doch mal im Ansatz: er zieht den Mantel an, der Kragen ist umgeschlagen, dass Sie ihn ihm ganz zärlich geraderücken; so ein bißchen streicheln und vielleicht so ein Hauch über den Hals hinten.«
Ich: »Das ist Mutters Aufgabe.«
Dr. G.: »Logo, aber von der kriegt er es ja nicht« (Tonbandprotokoll)

Seine therapeutische Intervention, in der ich als ehemaliges Opfer aufgefordert wurde, zärtlich zum Täter zu sein, empfand ich als Schlag, als Wiederholung des alten Traumas auf perverse Art und Weise. Ich war unfähig, danach noch etwas zu sagen. Drei Tage später teilte ich ihm schriftlich mit, das ich keine Fortsetzung der Therapie bei ihm beabsichtige.

Da Dr. G. von der Krankenkasse zugelassen ist, war ich davon ausgegangen, dass die Krankenkasse auch meine Therapie bezahlen würde. Auch seine Arztsekretärin versicherte mir dies telefonisch. In den Sitzungen machte Dr. G. auch keine anderslautenden Angaben. Er teilte mir zu Beginn der zweiten Sitzung lediglich mit, dass er pro Termin immer zwei Stunden a 45 Minuten rechnen würde, "wegen der Abstimmung mit den Kassen."

Postwendend auf meinen Brief kam sein Brief mit einer Rechnung über vier Stunden a 200DM = 800DM, mit der Bitte um Begleichung und dem Hinweis, ich müsse die Rechnung nur zur Rückerstattung bei meiner Kasse einreichen. Das tat ich. Ich erhielt eine erste Ablehnung der Kostenübernahme.

Bei meiner Krankenkasse fand ich offene Ohren für meinen Ärger über Dr. G., auch anderen Kassenmitgliedern sei es so ähnlich ergangen. Es blieb jedoch bei der Ablehnung zur Kostenübernahme. Eine Schilderung des ganzen Verlaufs schickte ich dann zuerst an die Bezirksärztekammer, dann an die Landesärztekammer, schließlich an die Schiedsstelle der Ärztekammer. Ohne Erfolg.

Aus den Antworten der Kammer sei als Beispiel zitiert:
"... Sie werden also wissen, welche unendliche Zahl von Therapieansätzen es gibt. Für alle findet sich eine Rechtfertigung - oder auch nicht. ... Da Sie aber den "groben Fehler" des Therapeuten erkannt haben, denke ich mir, dass Sie durch den Abbruch der Therapie schon Konseqzenzen gezogen haben, ohne Schaden zu nehmen." (Schiedsstelle der Landesärztekammer Hessen)

Einen Schlußpunkt werde ich noch nicht darunter setzen. Auch wenn ich jetzt mit Hilfe von Freundinnen und einer Therapeutin meine persönliche Krise überlebt habe ("Überlebende" bin), ist es mir weiterhin wichtig, jegliche Art von Missbrauch in der Therapie öffentlich zu machen und anzuprangern. -

Name der Redaktion bekannt.

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