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Sehnsucht nach Frauenland

frauenzentrierte Kultur unserer Tage

In Frauenland lässt es sich wunderbar leben! Auch Männer fühlen sich dort wohl - sie haben längst begriffen, wie klug und vernünftig Frauen sind, und so ist das weibliche Geschlecht und die von Frauen geleistete Arbeit hoch angesehen und anerkannt. Da in Frauenland Politik sehr stark von Frauen beeinflusst wird, ist allen klar, dass das Aufziehen von Kindern und Hausarbeit ökonomische Faktoren sind und gut bezahlt werden müssen.

Gewalt gegen Kinder ist ein absolutes Tabu. Gewalt gegen Frauen ist ebenfalls sehr selten, kein Wunder bei den Frauen in diesem Land, die stolz und aufrecht daherkommen und sich niemals ängstlich ducken, hilflos kichern oder auf spitzen Schühchen herumtrippeln! Da in diesem Land die Geringschätzung der Mutterschaft unbekannt ist, hat sich diese Haltung auf die Erde, die Tiere und Pflanzen ausgedehnt.

Niemand würde auch nur daran denken, sich die Natur "untertan" zu machen oder sie auszutricksen! Wie die Leben spendenden Funktionen der Frau werden auch die Naturbedingungen anerkannt, die "größenwahnsinnigen Macher um jeden Preis" haben hier keine Chance! Das hat auch dazu geführt, dass mit Waffen überhaupt keine Geschäfte zu machen sind, schon in den frauenzentrierten Gesellschaften unserer Ahninnen war die Kriegstechnik unbekannt. Ja, und mit der Sexualität gibt es in Frauenland auch keinerlei Probleme, zwei Frauen, zwei Männer oder gemischt, jede Lebensform ist richtig. Alte Menschen, Behinderte, Menschen, aus anderen Ländern: Sie sind überall dabei und können sich der Hilfe ihrer Mitmenschen sicher sein.

Die Wirtschaft funktioniert sehr gut, da die Menschen in Frauenland großen Wert auf Gegenseitigkeit und Befriedigung der Bedürfnisse legen. Ansammeln von Reichtum ist verpönt, da langweilig; harte Konkurrenz, Monopole und riesige Supermärkte sind unbekannt. Manchen Menschen sind wohlhabend, andere müssen sparen, aber Hunger und Verelendung quälen niemanden. Pornographie und Prostitution - durch die starken Frauen dieser Gesellschaft wäre eine Entwürdigung oder der Kauf eines weiblichen Körpers undenkbar … In Frauenland ist eine starke Lebensfreude und Wärme spürbar, ständig werden Feste gefeiert. Natürlich gibt es auch Aggression, Trauer, Krankheit und Tod, aber auch viel gegenseitige Achtung und Anteilnahme und einen großen Spielraum für alle, das eigene Leben zu gestalten.

Solche Zustände sind natürlich zu schön, um wahr zu sein. Aber ganz ohne Bezug zur Wirklichkeit sind sie auch wieder nicht. Es gab vor Tausenden vor Jahren schon matriarchale Gesellschaften, in denen das Mutterrecht galt und Mädchen "Stammhalterinnen" waren. Und Gesellschaften, in denen Frauen und Männer gleichberechtigt miteinander leben, Frauen sich auf andere Frauen beziehen und angestammte Rechte haben, gibt es auch heute noch.

Die Töchter der Göttin tanzen …

Im Herbst des Jahres 1994 zeigte der Bayrische Rundfunk in der Sendereihe "Menschen und Abenteuer" einen Film über das Leben der Mosuo im Südwesten Chinas. Der Film zeigte eine wunderschöne Landschaft, Frauen und Männer, die auf dem Feld arbeiteten, die in schönen Kleidern Feste feierten und dabei sangen und tanzten. Der Filmkamera gewährte auch Einblicke in das Innere eines Hauses und das Leben einer Familie. Beim Essen waren alle Angehörigen im Wohnzimmer versammelt, die älteste Frau hatte als Oberhaupt der Familie den Ehrenplatz inne.

Bei den Mosuo leben Töchter, Söhne und Enkelkinder im Hause der Mutter (matrilokal). Die Erbfolge verläuft matrilinear von der Mutter auf die Töchter. Am Fernsehschirm konnten wir die Einführung der 14-jährigen Tochter in die Welt der Erwachsenen miterleben. Sie tanzte mit den anderen jungen Frauen die ganze Nacht bis zum Morgengrauen am Fuße des Löwinnenberges, der die Göttin symbolisiert. Im Morgengrauen bekam sie ein schönes Kleid und Geschenke und ab diesem Zeitpunkt ihr eigenes Zimmer.

Üblich ist die "Besuchsehe", bei der der auserwählte Partner die Nacht im Zimmer der Frau verbringt und morgens wieder zurück ins Haus seiner Mutter geht. Es besteht keine Verantwortlichkeit der PartnerInnen füreinander. Kinder wachsen im Mutter-Haus auf, es hat stets jemand Zeit für sie. Verehrt wird die Göttin mit Festen, Tänzen und Picknicks. Ihre Schönheit und Kraft werden in poetischen Liedern besungen. Versuche der Regierung, die patriarchale Ehe einzuführen, sind gescheitert, da diese Verbindungen sich als wenig stabil erwiesen haben.

Wunderbar, dass es ein Mädchen ist,

denken Mütter in Juchitan bei der Geburt einer Tochter. Und damit sind wir in der zweiten mir bekannten, frauenzentrierten Kultur unserer Tage: Juchitan in Mexiko. Die Soziologin Veronika Bennhold-Thomsen hat ein Jahr mit anderen Frauen und zwei Kindern dort gelebt und ein hochinteressantes Buch darüber geschrieben.

Juchitan ist eine Stadt von ca. 80.000 Einwohnern, in der es zwar Banken, Schulen, eine technische Universität und mittlere Firmen, aber keine Großindustrie und keine Supermärkte gibt. Handel und Wirtschaft sind eine reine Frauendomäne, die Männer arbeiten in anderen Bereichen. Den Frauen gehören die Häuser, sie verfügen über das Geld und sie haben oft Kinder von verschiedenen Vätern. Häufig leben sie ohne Ehemann. Sie halten die Tradition und sind tonangebend bei den sehr zahlreichen Festen. Die Tänze dabei sind vielfach Frauentänze.

Die Menschen in Juchitan arbeiten für ihre Bedürfnisse und nicht, um Geld anzusammeln, sie grenzen sich gegen das Neue nicht ab, sondern gehen flexibel damit um. Frauenarbeit wird in Juchitan als wichtig angesehen. Es gibt keine Trennung zwischen wertvoller (männlicher) Lohnarbeit und der weniger wertvollen Frauenarbeit. "Hausfrauen", die Gratisarbeit zu leisten haben, sind unbekannt. Das Aufziehen von Kindern, das Kochen von Essen ist Teil der Ökonomie.

Verblüffenderweise geht es den Leuten von Juchitan gut, besser als vielen anderen MexikanerInnen, ihre Wirtschaft ist stabil und krisenfest. Sie basiert sehr viel mehr auf Gemeinsamkeit, denn auf Konkurrenzdenken und Wachstum um jeden Preis. Und noch eine Besonderheit: Menschen mit gleichgeschlechtlich orientierter Sexualität sind voll anerkannt und gehören dazu, ebenso wie alte Menschen.

Was bedeutet das alles für uns Frauen heute? Die Matriarchate in China und Mexiko, ebenso wie die Zivilisation der Göttin aus der Jungsteinzeit sind sicher nicht einfach auf unsere Verhältnisse übertragbar. Andererseits ist nicht zu leugnen, dass es bis heute frauenzentrierte Gesellschaften gibt und dass sie auch im 20. Jahrhundert ausgezeichnet funktionieren.

Barbara Obermüller

Quelle:

  • Film von Petra Spamer-Riether, "Töchter der Göttin",
    Produktion des Südwestfunks Baden-Baden 1993
  • Literatur:
    Veronika Bennholdt-Thomsen (Hg.), Juchitan-Stadt der Frauen,
    Rowohlt-Taschenbuch, 12,90 DM

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