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MATHILDE

 

 

 

 

 

"Wer will sein fein, der muß leiden Pein"

Über Mode wurde bei uns zu Hause nicht gesprochen, das war etwas für "oberflächliche" Leute. Bei uns zu Hause ging es um die "inneren Werte", denn "hinterm Spiegel steht der Teufel". Trotzdem oder gerade deshalb, hat mich das Umgehen mit oder Ablehnen von Mode sehr geprägt.

Da ich zwei ältere Schwestern hatte, die eine war mir vier, die andere fünf Jahre voraus, musste ich die meisten Kleider nachtragen, denn erstens wirft man nichts weg, was noch gut ist, zweitens war in der Verwandtschaft weit und breit kein anderes weibliches Opfer, dem man die schon "lebenserprobte" Kleidung auch hätte angedeihen lassen können, drittens wären die armen Kinder froh gewesen, überhaupt etwas zum Anziehen zu haben, viertens kann man nicht für jedes Kind neue Kleider kaufen und fünftens haben die andern auch nicht nur Kleider, die sie gerne anziehen. Nun gut, in den dreißiger Jahren war fast niemand sehr reich, und dann kam die Kriegs- und die Nachkriegszeit. Und ich gebe zu, dass in all diesen Argumenten ja auch ein Körnchen Wahrheit steckt, doch vielleicht hätte es mir schon geholfen, wenn neben den "ollen Klamotten" mein Kummer wenigstens auch ein kleines bisschen Platz gehabt hätte. Statt dessen wurde in der Verwandtschaft über mich als kleiner eitler Fratz geredet.

Aber wie war das doch mit den Hosen? Die Lederhose meines Bruders hätte ich ums Verplatzen gerne nachgetragen, doch so etwas nur zu wünschen, war fast schon unanständig. Dafür bekam ich große Fertigkeit darin, auf der Teppichstange im Hof Rollen und Überschlag zu üben und gleichzeitig mein Kleid festzuhalten, denn es durfte ja niemand die Unterhose sehen - natürlich wegen der "inneren Werte" (siehe oben). Dass die Teppichstange eigentlich zu hoch und die Stange zu dick und deshalb lebensgefährlich war, hat zum Glück niemand bemerkt, denn sonst wäre auch dieses Vergnügen sicher unterbunden worden.
Vielleicht bin ich in meiner Erinnerung etwas ungerecht, denn Schuhe musste ich nie nachtragen. Das war nicht gut für die Füße. Vielleicht hatte die Rücksicht auf diese Körperteile auch etwas damit zu tun, dass mein Vater Schuhmacher war und wir nur maßgeschusterte Schuhe trugen, mit hohem Schaft natürlich, denn "der kindliche Fuß braucht Halt". Ein ganzes Geschäft voller Schuhe hatten wir zwar auch - was gab es da schöne Modelle! - aber für uns machte Vater sich die Mühe und nahm Maß, schnitt Schäfte zu, zog sie über den Leisten und so weiter. Maß nehmen für neue Schuhe war übrigens sehr schön, aber auch eine kitzlige Angelegenheit, wenn mein Vater den Bleistift auf der Unterlage am Fuß entlang zog oder das Zentimetermaß unter dem Fuß durchgezogen wurde.

So lang ich mich zurück erinnern kann, hatten wir drei Mädchen einen kurzen Haarschnitt, werktags eine "Tolle" und sonntags eine Schleife im Haar. Das war sicher nicht jenseits der damaligen Mode, doch auch auf diesem Gebiet war bei den anderen Kindern immer alles schöner. Die hatten Locken und außerdem noch Kämmchen in den Haaren, bei denen war die "Tolle" richtig toll und nicht so eine Wurst, wie meine Mutter sie bei mir fabrizierte. Etwa zehnjährig kam dann auch das erste aktive Aufbegehren. Heimlich ausgeführt, doch sehr bald entdeckt, endete es in einer kleinen Katastrophe. Mit viel Mühe hatte ich durchgesetzt, meine Haare wachsen lassen zu dürfen, und ich durfte mich auch schon alleine kämmen. Aber diese besagte "Tolle" wurde bei mir einfach nicht so schön wie bei den anderen Kindern. Bei mir wurden die oberen Haare gedreht, mit einer Libelle (so hieß diese Art Spange) festgesteckt, geteilt und in die beiden Zöpfen verflochten. Bei anderen Mädchen hatte ich gesehen, wie das richtig gemacht wird: die Haare für die "Tolle" waren kurz und mit einem Kämmchen eingeschlagen - das sah einfach gut aus. Die versuchte Emanzipation bestand also darin, die oberen Haare einfach kurz zu schneiden und sie um einen abgebrochenen Kamm (so ein richtiges Kämmchen hatte ich ja nicht) einzuschlagen. - Es kam wie es kommen musste! Meine Untat wurde sehr bald entdeckt, denn ich hatte einen Rest abgeschnittener Haare im Kohlenkasten liegen lassen und noch nicht verfeuert. Mir wurde sehr drastisch und demütigend vor Augen geführt, wie unmöglich und lächerlich ich nun aussah. Ich glaube nicht, dass die etwas missratene Frisur - ich hatte nun einmal Schnittlauchlocken, die nur sehr schwer zu bändigen waren - meine Mutter so aufgeregt hat. Es war wohl eher die Tatsache, dass ich einfach eigenmächtig etwas getan hatte ohne zu fragen, wo Kinder doch nicht wissen können, was gut für sie ist.

In der Nachkriegszeit, als das eine oder andere Care-Paket aus Amerika in unseren Besitz kam, hatte ich mehr Glück oder auch mehr Geschick in der Abwendung von ungewollten Kleidungsstücken. Diese Care-Pakete waren zwar sehr interessant, meistens jedoch kaum brauchbar, was wohl weniger am fehlenden Engagement der AbsenderInnen als an der Organisation der Verteilung lag. Wir bekamen ein Paket zugeteilt, ohne dass jemand wusste, was darin war. Das war einzig dem Zufall überlassen. In diesen Paketen (an zwei kann ich mich erinnern) waren Schuhe und Kleidungsstücke, für uns mehr zum Lachen als zum Anziehen. Bei einem Kleid, das ich auf Anhieb unmöglich fand, holte ich mir schnell ein Sofakissen, steckte es mir dahin, wo einmal ein Busen wachsen sollte, und hatte die Lacher auf meiner Seite. Ich musste dieses Kleid nicht anziehen.

Eine andere Erinnerung aus der Nachkriegszeit: In den ersten Sommermonaten gab es doch das eine oder andere Mädchen mit einem knallroten Rock. Der Verdacht, dass hier eine Nazifahne Verwendung gefunden hatte, lag sehr nahe und erzeugte Argwohn. Ich kann mir gut denken, dass diese Mädchen nicht viel Freude an ihrem Kleidungsstück hatten, es vielleicht auch nur der Not gehorchend anziehen mussten.

Durch all diese Erfahrungen habe ich lange gebraucht, bis ich einen eigenen Geschmack entwickeln konnte. Der Spaß an Mode und an schöner Kleidung hat sich nur zaghaft eingestellt, und ich habe mich lange Zeit sehr unsicher gefühlt, ob, was mir gefällt, auch gut aussieht. Und ich weiß auch gar nicht, ob das heute so anders ist. Warum ziehen wir nicht einfach an, was uns gefällt, auch wenn es gerade nicht modern ist? Was gestern schön war, kann heute nicht hässlich aussehen? Der Geschmack kann sich verändern, das ist richtig. Aber woran orientiert sich der Geschmack? An dem eigenen ästhetischen Empfinden oder mehr an der Anerkennung durch andere oder an der Gewohnheit, was wir täglich sehen? Vielleicht brauchen wir etwas, was auffällt, oder wollen wir das Modische, weil wir dadurch dazugehören?

Ich glaube, dass da jede so ihre eigenen Kriterien und Vorlieben entwickelt. Und es ist sicher gut, sich diese bewusst zu machen. Je bewusster die Motivation für den eigenen Modestil gelebt werden kann, um so weniger ist eine Frau sicherlich manipulierbar für die negativen Aspekte der Mode, die destruktiv und entwürdigend sind, denn die gibt es auch. Manchmal wünsche ich mir, alle Frauen hätten dafür etwas mehr Blick und mehr Verweigerung.

Trotzdem freue ich mich darüber, dass auch unsere Mode eine pluralistische geworden ist. Ich muss nicht unbedingt die in Paris oder Wien kreierte Farbe der Saison anziehen, um nicht oder nur angenehm aufzufallen. Heute kann ich anziehen, was ich will. Fast alles ist möglich.

Mode als "Genussmittel", als Ausdrucksmittel, nicht als Prestigeobjekt und auch nicht als Mittel zum Manipulieren. Eine solche Mode wünsche ich mir.

Margret W.-Simon (Fotos: privat)

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