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Das war schon immer so.

Der Begriff der Familie

Gerade Familie ist ein Begriff, der in den Köpfen der meisten Menschen mit einer ehernen Unveränderlichkeit von Tradition weitergegeben, über Traditionen verbunden ist. Unbeachtet bleibt dabei meist, dass das Wort Familie für die heute darunter verstandene soziale Gruppe erst seit dem 18. Jahrhundert verwendet wird. Inhaltlich glich sie unserem Familienbild kaum, da sie vorrangig eine Hausgemeinschaft bezeichnete, die gemeinsame wirtschaftliche Ziele verfolgte. Gefühle standen auf der Familienwerteskala tief unten. Doch lassen wir unseren Blick in der historischen Familienrunde schweifen und holen wir sie uns ein wenig näher heran, um sie genauer betrachten zu können.

In der zeitlich am weitesten entfernten Ecke befindet sich die germanische Sippe. Sie ist ein Verband gleichberechtigter Genossen, die zur gegenseitigen Hilfe und Unterstützung zusammenleben. Jeder Mann, Vater, Sohn entzündet sein eigenes Feuer, um das er Frau und Kinder schart. Sowohl Arbeit als auch Verwaltung des Hauses bilden die Domäne der Frauen. So leben viele Kleinfamilien beieinander mit dem Ziel, den erblichen Grundbesitz zu sichern. Dementsprechend ist die PartnerInnenwahl auch keine persönliche Entscheidung, sie ähnelt mehr einem Handel zwischen zwei Sippen.

Doch die Zeit der GermanInnen liegt weit zurück und ein Blick auf eine näher liegende Familienform zeigt uns die Großfamilie. Unter den beobachtenden Augen des Hausvaters, der bei Tisch den wärmsten Platz mit dem besten Ausblick sowohl in die Stube als auch auf die Gasse innehat, leben Blutsverwandte aller Generationen unter einem Dach. Ihr Trachten gilt der Bewirtschaftung und Verwaltung des Hofs, Handwerksbetriebs, Ladens. Da die Erhaltung des gemeinsamen Besitzes einen hohen Stellenwert hat, lassen die Söhne auch nach ihrer Heirat ihre Pantoffeln unter dem Tisch des Vaters. Die Position in der Familienhierarchie entscheidet darüber, ob eine Frau für die Küche oder für Kinder und Feldarbeit zuständig ist. Veränderungen in der Arbeits- und Zimmerverteilung finden nur durch den Tod eines Familienmitgliedes statt.

Unser Blick wandert noch einige Generationen näher an unsere Zeit heran und trifft auf die große Haushaltsfamilie. Die Vielfalt der Gesichtszüge zeigt sofort, dass hier nicht nur Blutsverwandte zusammen leben. Lehrlinge, Angestellte und jede andere Art von Personal leben und wirtschaften unter einem Dach. Sie haben alle ihren Platz in diesem Gefüge, das nach wie vor vom Hausvater überwacht und geordnet wird.

Das nächste Bild in der Runde zeigt einen geschrumpften Personenkreis. Drei, vier, fünf Personen wohnen jeweils zusammen und bilden Kleinfamilien. Hervorgerufen durch die Industrialisierung geht nun der Mann der Lohnarbeit außer Hause nach, häufig in weiterer Entfernung, während die Frau Haushalt und Kinder versorgt. Einige Familien bilden noch selbständige Produktionseinheiten, doch nimmt ihre Konkurrenzfähigkeit immer mehr ab. Die Einführung von Sozialversicherung und Berufsschulen verlagert einige Funktionen der großen Haushaltsfamilie nach draußen. Die eigene Hausmauer wird immer öfter zur Trennlinie zwischen Familien- und Arbeitsleben. Nach und nach wächst der Wunsch nach einem Privatleben. Die Gewohnheit, die vergessenen Eier für den Kuchen auch am Sonntag noch durch ein Klopfen am Fensterladen zu erstehen, muss abgelegt werden, da Laden und Wohnraum nicht mehr am gleichen Ort sind.

Ganz zuletzt fällt unser Blick auf ein recht buntes Häuflein. Familien, die dieser oder jener historischen Variante ähneln, aber auch jede Menge anderer Formen des Zusammenlebens mit den verschiedensten Zielen und Namen. Gelebt wird alleine, zu zweit, zu vielen, zum gemeinsamen Wirtschaften, um Kinder groß zu ziehen oder aus tausenderlei anderen Gründen. Die Wahlmöglichkeiten sind zahlreich, warum sie jedoch alle Familie heißen müssen, ist nicht zu begründen, schließlich war das nicht schon immer so.

Anja Spangenberg

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