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Pfändungsfreigrenze heißt die Einkommensgrenze, unterhalb der nicht gepfändet werden darf. Sie richtet sich nach dem Einkommen und nach den Lebensumständen. Für Frau S. liegt sie ungefähr bei 1.340 DM. siehe Text

Vom Umgang mit Geld

oder:
Schuldnerberatung ist mehr als nur Schuldenregulierung

Ich sitze in der Straßenbahn und höre dem Gespräch von zwei Großmüttern zu. Einen Brief hat die eine bekommen, es gibt wieder Zeugnisse. Da schickt die Oma natürlich was hin. Dann haben die Enkel etwas mehr Taschengeld und können sich kaufen, was sie haben möchten. - Ja, und dann sind auch bald Ferien. Werden die Enkel nach Darmstadt kommen und sie besuchen? - Nein, die fahren nach Bornholm über Rügen. Da haben sie’s sehr schön. »Was sollen sie denn in Darmstadt hier bei mir?« – Sie erzählt das so selbstverständlich und ohne Klage. - Geld als Bindeglied? Vielleicht das einzige noch?

Ich steige aus. Meine Gedanken bleiben an diesem kurzen Wortwechsel hängen. Was hat Schule und Schulleistung mit Geld zu tun? Warum wird ausgerechnet das Zeugnis »bezahlt«? Wie wird das auf die Kinder wirken? Für sie ist Schule möglicherweise nur lästig oder oft auch schmerzlich. Danach wird nicht gefragt, aber kind bekommt Geld dafür. Kummer oder Nichtverstandenwerden kann kind sich dann »wegkaufen«. - Oder sehe ich da etwas falsch?

Eine andere Geschichte vom Umgang mit Geld. Sie ist nicht in Darmstadt passiert, aber sie ist etwas länger. Frau S. arbeitet als Verkäuferin in einem Supermarkt. Sie ist hoffnungslos überschuldet. Das ganze Geld, das sie verdient, - es sind 1.650 DM netto, - geht drauf für ihre Miete und für die Raten, die sie bei verschiedenen Banken zu zahlen hat. Die anderen Gläubiger bekommen mal 10, mal 20 DM, wenn sie intensiv genug drohen. Für den täglichen Lebensbedarf bleibt nichts übrig. Da muss der Freund aushelfen. Doch der hat selber auch Schulden. Sie weiß nicht, wie sie da wieder herausfinden kann. Sie will ja bezahlen. Aber was nicht geht, geht nicht! -

Wie das alles gekommen ist? - Sie erzählt: »Ich habe früher eigentlich alles gehabt. Meine Wünsche wurden mir immer erfüllt.« Später wurden die Wünsche größer, und dann war die Mutter ja auch nicht mehr unbedingt zuständig. Außerdem musste diese mit einer kleinen Rente auskommen. Der erste Kredit wurde über 8.000 DM ausgestellt, als sie zum ersten Mal alleine wohnte. »Ich habe doch Möbel gebraucht!« Damals schienen alle Probleme lösbar zu sein. Bald wurde ein Auto notwendig. Da Frau S. einen Arbeitsplatz hatte, stockte die Bank den Kredit auf 15.000 DM auf. Bei der nächsten Erhöhung des Kredits verlangte die Bank einen Bürgen. Die Mutter konnte der Tochter auch diesmal nichts abschlagen. Sie würde das Geld ja zurückzahlen. Sie bürgte mit ihrer Lebensversicherung. Der Kredit wuchs auf 25.000 DM. Frau S. wurde arbeitslos und machte Bekanntschaft mit Drogen, zuerst waren es Tabletten, dann Heroin. Oder war es umgekehrt? Nahm sie zuerst Drogen und wurde dann arbeitslos? - Ist das so wichtig?

Die Freundin, die noch einen Arbeitsplatz hatte, beantragte für Frau S. einen Kredit über 15.000 DM und bekam ihn. Frau S schrieb der Freundin ein Schuldanerkenntnis aus. Dann wurde auch die Freundin arbeitslos, denn im Tabletten- und Drogenmissbrauch zogen sie am gleichen Strang. Nebenbei entstanden andere Ratenverpflichtungen bei verschiedenen Versandhäusern und durch den Ratenkauf eines Fahrrades. Ihr altes Auto, das sie verkaufte, gab der Käufer noch innerhalb einer Woche zurück, weil er sich übervorteilt fühlte. Der Kaufbetrag war längst verbraucht. Es wurde prozessiert. Der Käufer bekam Recht. Frau S. musste die Gerichtskosten, das Gutachten, den Rechtsanwalt des Käufers und ihren eigenen bezahlen und hatte den Kaufbetrag des Autos in voller Höhe zurückzuerstatten. Da das Auto schrottreif war und sie das Problem durch Nichtbeachtung zu lösen versuchte, kamen noch Abschleppkosten der Stadt hinzu.

Nachdem ihr Gehaltskonto (sie hatte inzwischen wieder Arbeit gefunden) mit mehr als 6.000 DM überzogen war, bot die derzeitige Bank einen Kredit über 7.000 DM an, weil ein Kredit »billiger« ist als eine Kontenüberziehung. Doch schon bald war das Konto aufs neue überzogen. Und die Schulden waren auf 50- bis 60-Tausend DM angewachsen.

Frau S. sparte und versuchte, ihre Ausgaben auf ein Minimum zu reduzieren und sich alle Wünsche zu verkneifen. Wen wundert es da noch, dass sie eines Tages bei einem Kaufhausdiebstahl erwischt wurde? Sie hatte versucht, eine Jacke und ein Paar Schuhe unbezahlt »mitgehen« zu lassen. Ist das so unverständlich? - Sie bekam eine Geldstrafe von 4.000 DM.

Frau S. ist keine Betrügerin. Sie weiß, dass sie viele Fehler gemacht hat. Sie will bezahlen, was zu bezahlen ist. Doch wie soll sie aus ihrer Verschuldung herauskommen? Wer ist Schuld an der ganzen Misere? Die Mutter, die der Tochter kein NEIN sagen konnte? Die Tochter, die nie gelernt hat, mit Geld umzugehen? Die Bank, die unbekümmert den Kredit erhöhte und heute zusätzlich Kosten und Verzugszinsen verlangt? Das Gericht, das trotz Kenntnis der Lebensumstände durch die Geldstrafe ihren Schuldenberg spürbar erhöhte und in dem Verlangen der Bezahlung ebenfalls keine Rücksicht kennt (die drohende Ersatzfreiheitsstrafe wird den notwendigen Druck schon ausüben)? Die Kaufhäuser, die mit ihrem Warenangebot bis auf die Straße den Konsum regelrecht aufdrängen? Die Werbung, die immer wieder das bessere Leben vorgaukelt, wenn dieser Gegenstand erworben oder jener Urlaub gemacht wurde? Oder Frau S, die nicht in der Lage war, diesem ganzen Druck ausreichend viel Willensstärke entgegenzusetzen?

Wie diese Geschichte weitergeht? -
Frau S. hat aus ihren Fehlern gelernt. Sie verspricht »Nie mehr werde ich Ratengeschäfte machen.« Sie hat sich an eine Schuldnerberatung gewandt und wird von dort unterstützt. Ihr Lebensbedarf wurde ausgerechnet, das sind Miete + Lebensunterhalt, und auf die einzelnen Wochen verteilt. Alles andere, das ist mehr als die Pfändungsfreigrenze es von ihr verlangen würde, setzt sie für die Regulierung der Schulden ein. Es wurde ein Zahlungsplan gemacht. Die Banken wurden angeschrieben und leistbare Rückzahlungsraten angeboten. Außerdem wurde versucht, bei jedem einzelnen Gläubiger mindestens Zinsstillstand zu vereinbaren. Für die kleineren Schulden wurden Vergleiche mit einer festgesetzten Frist oder Ratenvergleiche vorgeschlagen. Die Schuldnerberatung garantiert, dass die Vereinbarungen eingehalten oder die Gläubiger benachrichtigt werden, wenn Frau S. nicht mehr »spurt«. Dann würde sofort der ursprüngliche Betrag mit Kosten und Zinsen wieder in voller Höhe fällig.

Die meisten Gläubiger sind einsichtig und entgegenkommend, schon aus eigenem Interesse, doch einigen geht jeder Sinn für Bemühungen um konstruktiven Ausgleich ab. Sie reagieren knallhart. Dann muss gerungen und jedes Rechtsmittel ausgeschöpft werden. Leider steht das Recht nicht allzu sehr auf der Schuldnerseite. (Warum z.B. gibt es keinen Konkurs für Privatschulden, den es für Geschäftsschulden immer schon gegeben hat?)

Kritisch wurde es für Frau S., als ein Inkasso-Büro, statt den Brief der Beratungsstelle zu beantworten, eine Lohnpfändung veranlasste. Die Lohnpfändung konnte zwar verkraftet werden, weil der Schuldausgleich schon mit einer Zahlung erledigt war, doch seit dieser Zeit bangt Frau S. um ihren Arbeitsplatz. Das Wissen, dass eine Lohnpfändung kein Kündigungsgrund sein darf, hilft da auch nicht weiter. Denn wenn jemand auf der »Abschussliste« steht, wird der Arbeitgeber schon einen »legalen« Grund zur Kündigung finden.

Die Geschichte von Frau S. ist noch nicht zu Ende geschrieben. Das unüberschaubare Chaos ihrer Verbindlichkeiten beginnt sich zu ordnen, die Schuldenregulierung ist jedoch noch lange nicht durchgestanden. Es werden noch ausreichend viele Gelegenheiten der Versuchung durchzustehen sein. Erfahrungsgemäß ist z.B. ein besonders kritischer Zeitpunkt, wenn mit allen Gläubigern Vereinbarungen getroffen wurden und der größte Druck verschwindet. Dann heißt es, nicht leichtsinnig zu werden und nun über Monate und Jahre die vereinbarten Zahlungen zu leisten, d.h. weiterhin Disziplin beim Geldausgeben zu halten. Eine lange Zeit beginnt, für den ein ebenso langer Atem nötigt ist. Aus diesem Grund sollte eine Schuldenregulierung nicht länger als drei, maximal fünf Jahre dauern. Der Lichtstreif am Horizont muss näher kommen, sonst ist die Durststrecke nicht durchzustehen.

Außerdem ist es eine Sache, nicht mehr ein noch aus zu wissen, eine andere Sache ist es, in Freiheit zu leben. Auch ohne Schulden und in eigener Verantwortung leben können, muss gelernt sein. Es gibt viele, die das Chaos besser aushalten können, als die eigene Leere zu spüren. Kennt nicht jede von uns Beispiele aus der eigenen Erfahrung, wo wir, bevor innere Ruhe aufkommen kann, diese zu verhindern wissen?

Margret W.-Simon

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