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MATHILDE

Segel eines Kurenkahns in der Kurischen Nehrung

Foto: Margret W.-Simon

Wasser, Wanten, Wind und Wellen

Von der Bordfrau zur Skipperin - oder: Segeln ist kein Männersport

Wasser mochte ich eigentlich schon immer - es sei denn, meine zahlreichen SportlehrerInnen zwangen mich dazu, mich darin mit diversen Rücken-, Kraul- und Brustschwimmbewegungen und unter Zuhilfenahme meist viereckiger, meist blauer, gummiähnlicher Gegenstände fortzubewegen, die ich mir hinter den Kopf oder zwischen die Beine klemmen musste.

Auch für Wind konnte ich mich schon immer begeistern: ich liebe es, wenn er mir um die Ohren pfeift, unter Pulli und Jacke fährt und dabei Gänsehaut hinterlässt. Oder wenn ich mich mit meinem ganzen Gewicht beim Laufen dagegenstemmen muss, um überhaupt voran zu kommen. Selbst die Tatsache, dass er im Sommer Millionen von Blütenpollen mitbringt, die meine Augen zum Tränen und meine Nase zum Tropfen bringen, tut dieser Liebe keinen Abbruch.

Und - wie könnte es auch anders sein - ich liebe Wellen, die sanft plätschernd oder laut grollend an den Strand schlagen, Schaumkrönchen bilden, Felsen umspülen oder sonst irgendetwas tun, was man Wellen im allgemeinen so zuschreibt.

Nun ist diese Leidenschaft für Wasser, Wind und Wellen ja etwas ungewöhnlich für ein Menschenkind, das südlich des Weißwurstäquators geboren und in Südhessen aufgewachsen ist. Ein Blick auf die Landkarte zeigt, dass es in dieser Gegend zwar reichlich Felsbrocken und auch hin und wieder einen kleinen Baggersee gibt, aber von einem Meer, dessen Wellen an einen Strand schlagen könnten, ist weit und breit nichts zu sehen.

Für die meisten Bundesbürgerinnen ist Meer gleichbedeutend mit Mittelmeer, Süden und Sonne. In einem Anfall von Meeressehnsucht buchte ich eines Sommers einen zweiwöchigen Ibiza-Urlaub. Leider konnte ich von meinem geliebten Wellenrauschen nicht viel hören: es wurde tagsüber von Touristengejohle und abends von Discogedröhn übertönt. Im Wasser tummelten sich Algen, Quallen oder Müll, und der Wind war so warm, dass er noch nicht einmal ein Gänsehäutchen hervorrufen konnte. Nach diesem Urlaub wusste ich zumindest, was ich nicht wollte. Irgendwann erzählte mir ein Freund begeistert von seinem Segelurlaub in der Ostsee. Ich zögerte eine Weile, denn Segeln hat zwar mit Wasser, Wind und Wellen zu tun, aber Wasser hat bekanntlich keine Planken, und als ich vor Jahren mit der Fähre nach England fuhr, wurde mir dabei so übel, dass ich glaubte, ich müsse sterben...

Aber so schnell stirbt es sich nun auch wieder nicht. Ich gab also meinem Herzen einen heftigen Stoß und warf meine ängstlichen Bedenken über Bord. Der erste Segelurlaub wurde vorsichtshalber nur für eine Woche geplant: Wir hatten ein festes Quartier und machten mit einem kleinen, offenen Boot nur Tagestouren. In kürzester Zeit war ich Feuer und Flamme für diese Möglichkeit, Wasser, Wind und Wellen zu erleben. Ein flaues Gefühl blieb aber doch, denn in einem kleinen offenen Boot sitzt man doch sehr nah am Wasser - besonders bei Schräglage. Beim nächsten Urlaub war das Boot dann größer, hatte sogar Toilette und Kocher an Bord, und wir waren nicht mehr auf ein festes Quartier angewiesen. Wir mussten noch nicht einmal mehr einen Hafen anlaufen (nur zum Duschen) und konnten unsere Übernachtungsplätze frei aussuchen. Nach diesen zwei Wochen war mir klar: das ist es!

Ich liebe nicht nur Wasser, Wind und Wellen, sondern auch das Knirschen der Segel, das Plätschern an der Bordwand, das Geschrei der Vögel, das sanfte Schaukeln des Bootes (kein Vergleich mit dem Stampfen und Schlingern einer großen Fähre) - und natürlich die Tatsache, dass keine Disco, kein Autogedröhne und kein Gestank meinen Frieden störte. (Dass es auch auf einem Segelboot allerlei nervtötende Geräusche geben kann - vor allem nachts, wenn zum Beispiel nicht alles "windsicher" verstaut ist - lernte ich erst später).

Nachdem ich nun wusste, wie ich in Zukunft meinen Urlaub verbringen wollte, sah ich mich nach geeigneter Literatur um, die mir die nötigen Grundkenntnisse vermitteln sollte, um mehr als nur Handlangerin beim Segeln zu sein. Während des Urlaubs hatte ich immer wieder feststellen können, dass bei Anlegemanövern im Hafen die Männer meist am Ruder standen und die Frauen mit Leinen (den sog. Festmachern) bewaffnet vom Boot aufs Festland sprangen. Oder dass sie - egal bei welcher Windstärke - vorne auf dem Schiff standen und die Segel wechselten (das Vorschiff ist ein ziemlich unsicherer Platz, besonders bei Seegang). Auch ich hatte bei Anlegemanövern nicht am Ruder gestanden - nicht, weil ich nicht durfte, sondern weil ich mich nicht traute - und ich wollte das nicht zur Gewohnheit werden lassen. Ich habe mich allerdings gefragt, warum mein Begleiter, der das Boot auch nicht besser kannte als ich, sich so etwas zutraute, während ich mich ängstlich zurückhielt.

Ich habe viele Bücher übers Segeln gelesen, denn ich wollte eines finden, das mich nicht von Anfang an mit Fachterminologie überschüttet, sondern meiner begrenzten Speicherfähigkeit neuer Vokabeln entgegenkommt. Obwohl ich mich nach kurzer Zeit an so beeindruckende Wörter wie "Profilstageinsatz", "Curryklemme", "Cockpitsüll" und "Beschlagrutscher" gewöhnt hatte, raubten mir einige der in den Lehrbüchern angegebenen Anweisungen beinahe den Atem: "Schäkel den Spinnakerkopf ans Spinnakerfall. Schäkel die Achterholer an die Hörner und führe sie außen um die Wanten herum zu Leitblöcken und Winsch. Schäkel die Schoten an und führe sie zum Cockpit. Pick die Inbordnock des Baums am Mastbeschlag an. Leg den Achterholer an den Außenockbeschlag des Baums, Geh auf Raumschots-Kurs". (Bond/Sleight: Kreuzsegeln)

Beim Durchforsten der Segelliteratur bemerkte ich sehr schnell, dass Segeln zumindest in der Literatur ein Männersport ist. Das Boot wird immer vom "Skipper" geführt. Wenn von einer Frau die Rede ist, dann ist es die "Bordfrau", was so viel heißt wie Verwalterin der Reisekasse, Köchin, Handlangerin und - falls Kinder an Bord sind - Aufsichtsperson und Kindermädchen. Besonders amüsant waren natürlich die Bücher, die speziell für Frauen geschrieben wurden und klarmachten, welcher Platz uns Frauen an Bord denn so zukommt. Eine gewisse Joyce - ihren Nachnamen habe ich vergessen - rät uns in ihrem Buch "Die perfekte Bordfrau", beim Betreten des Beibootes (meist ein Schlauchboot) besser auf Stöckelschuhe zu verzichten, um das Boot nicht zu versenken. Außerdem gibt sie nützliche Tipps, wie lange die Fingernägel sein dürfen, welche Art von Plastiküberrock sich für den Landgang eignet und wie die taktvolle Bordfrau den Skipper behandeln muss, wenn dieser sich voll konzentrieren muss. (Vermisst habe ich in diesem Buch allerdings den Hinweis, wie wir am besten von Bord klettern, ohne uns eine Laufmasche zu holen, aber vielleicht fährt Joyce nur auf Schiffen mit, die eine Gangway haben).

Ein Kollege erwähnt wenigstens im Vorwort, dass es auch Frauen gibt, die selbst Skipperin sein wollen, und dass speziell sein Buch für angehende Skipperinnen nicht geeignet ist (leider ist es mir noch nicht gelungen, überhaupt ein Buch aufzutreiben, das für angehende Skipperinnen geschrieben ist). Danach beschäftigt er sich auf über dreihundert Seiten damit, wie die ideale "Bordfrau" aussieht (womit innere Werte und handwerkliches Können gemeint sind). Selbstverständlich lässt er keine Gelegenheit aus, sich über die weniger idealen Bordfrauen lustig zu machen, und am Ende wirft er sich stolz damit in die Brust, wie neidisch alle anderen Männer gucken, wenn er mit "seiner" Bordfrau ins Winterlager kommt, um das Schiff für die nächste Saison zu überholen.

Was mich besonders fasziniert hat, war, dass alle AutorInnen davon ausgehen, dass Segeln in den meisten Fällen etwas ist, was Paare gemeinsam tun, und dass es immer der Mann ist, der segeln gehen will, und die Frau, die dann wohl oder übel mit muss. Niemand scheint jemals auf die Idee gekommen zu sein, dass a) auch Paare ihren Urlaub getrennt verbringen können, b) es genauso gut die Frau sein könnte, die segeln möchte, während der Mann keine Lust hat, und c) Paare nicht zwangsläufig aus Mann und Frau bestehen müssen. Und in noch einer Sache sind sie sich einig: Frau sollte das Segeln nicht bei ihrem Mann/Freund/Lebensgefährten etc. lernen. Das führe unvermeidlich zu Spannungen.

Nun gibt es ja nicht nur Bücher über das Segeln, sondern auch Bücher über den Selbstbau oder -ausbau von Booten. Und auch diese Autoren (Autorinnen konnte ich keine finden) enthüllen wieder recht interessante Ansichten über die Geschlechterrollen auf See. Zwar meint ein gewisser Herr Reinke treffend: "Segeln braucht keine "Arbeit auf See", vor allem kein Männersport zu sein. Wenn das so wäre, sollte man dafür Gorillas züchten", es finden sich aber auch in seinem Werk Bemerkungen darüber, dass sich auf mittleren und kleinen Yachten normalerweise die Bauherrin um Polster, Teppiche und Gardinen kümmert, und dass die Bordfrau ihre Gardinen oft so innig liebt, wie der Skipper sie für überflüssig hält (die Bordfrau oder die Gardinen, fragt sich die grammatisch interessierte Leserin spontan). Sicher sind diese Widersprüche dem Autor nicht aufgefallen, genauso wenig wie die amüsanten Andeutungen, dass Männer in einigen Bereichen des Lebens durch Gorillas ersetzbar wären (Reinke: Alternativer Yachtbau). An vielen Stellen konnte ich der Lektüre dieser Bücher durchaus humoristische Aspekte abgewinnen: Da beschreibt ein Autor seitenweise komplizierte Schweiß-, Dübel- oder Leimtechniken, deren Beherrschung er seinem durchschnittlich begabten Leser durchaus zutraut; geht es aber um Stoffe, Vorhänge, Teppich und Polster, steht es im "Kapitel für die Frau". Der durchschnittlich handwerklich begabte Mann lernt zwar schweißen, dübeln und leimen, aber sobald es um schwierigere Dinge wie z.B. nähen und zuschneiden geht, verlässt ihn das Geschick und er schreit nach seiner Frau oder Freundin.

Und die Moral von der Geschicht'? Im August gehe ich wieder eine Woche segeln. Mit einer Skipperin und einer Frauencrew. Und wenn ich zurückkomme, lerne ich schweißen. Mein Freund hat sich schon für einen Nähkurs angemeldet.

Andrea C. Busch

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