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Ich bin so gerne alt

"Ich bin so gerne alt", ist ein Buchtitel, der aufmerken lässt zwischen all dem Streit um Pflegeversicherungen für eine immer größer werdende hilflose Bevölkerungsschicht und gegen all die Unkenrufe, dass die immer dünner nachwachsende arbeitende Bevölkerung diese Massen der Alten in Zukunft nicht mehr werde ernähren können, so dass es eine Zumutung für die Jüngeren zu sein scheint, alt zu werden oder werden zu wollen. Da klingt dieser Buchtitel, als ob es um etwas anderes ginge als um Altenheim, Rollstuhl und Gefüttertwerden.

Wie alt die Autorin Elisabeth Steinmann ist, fehlt in der kurzen Beschreibung auf der Umschlagseite. Sie ist wohl Mitte 70, lebt in der Schweiz und weiß, wovon sie schreibt. Es geht ihr darum, aufzuräumen mit dem "Gerede über die Zurücksetzung , die Defizite, die Randgruppe, den Starrsinn und über die Verlassenheit", und darum "das Schweigen über den Tod" nicht mehr zu akzeptieren. Mit den Kapitelüberschriften macht sie dies deutlich.

"Eigentlich war es das ganze Leben hindurch schön, älter zu werden, ... doch ... wurden wir vordem stets auf morgen vertröstet, heißt es plötzlich, es sei zu spät." Dagegen wehrt sie sich - mit Recht, meine ich. Es gelingt ihr, all die oben genannten Vorurteile, die angeblich zwangsläufig zum Alter gehören, in Frage zu stellen. Und das tut sie nicht ohne Humor.:" Das Alter selbst ist keineswegs negativ, es wird nur negativ interpretiert in unserer Kultur... In China beispielsweise leben die Alten hochgeehrt und sind fest eingebunden in alle Lebensläufe... Da ich nun mal nicht in China lebe, muss ich mich auskennen mit der Geringschätzung... Gelegentlich entdecke ich daran sogar Erfreuliches. Nicht mehr ganz für voll genommen, muss ich auch keine vollen Preise bezahlen".

Das Buch liest sich leicht und vergnüglich. Doch je weiter ich lese, umso mehr stört mich ihr Stil. Ich frage mich, wieso? - Sie bleibt mir zu oft im Allgemeinen, redet abstrakt und als ob es d i e Alterserfahrung gäbe, z.B. "Meine Generation weiß dank der erlebten Geschichte, was Unsicherheit bedeutet. Und sie kann sie aushalten". oder "Die sogenannten Neuen Alten zeigen sich behender und aktiver als je eine Altengeneration zuvor". Solche Verallgemeinerungen mag ich nicht. Auch würde ich ihr Bekenntnis zum Altsein lieber lesen, wenn sie nicht immer wieder "wir" oder "man" schreiben würde, wo sie nur sich selber meinen kann: "Nehmen wir nur einmal das Telefon. Ich habe es immer für eine äußerst zudringliche Einrichtung gehalten. Wie ein Sklave wurde man herbeigeklingelt, zu jeder Tages- und Nachtzeit musste man sich parat halten". Und: "Wir haben den Reichtum der Zeit des Alters entdeckt und brauchen uns nicht mehr anzuklammern". Der Wunsch, dass alle Alten so sein mögen, mag ihr hier die Feder geführt haben.

In ihrer Vehemenz, mit der sie das Alter lobt, kommt sie mir gelegentlich vor wie das Kind, das im dunklen Keller laut gegen seine Angst ansingt. Als mir dieser Gedanke kam, konnte ich das Buch gut zu Ende lesen. Es sagt viel über Elisabeth Steinmann aus, wie s i e ihr Alter erlebt und wie s i e es mit Mut zu meistern sucht. Ihre verallgemeinernde Sprache hat ja auch tatsächlich etwas mit ihrer Generation zu tun, die es sehr schwer hatte, sich offen zu äußern, ohne sofort übers Maul gefahren zu bekommen.

Wer ihre Sprache akzeptieren und auch zwischen den Zeilen lesen kann, wird manchen aufmunternden Gedanken über die letzte Phase des Lebens in ihrem Buch finden und auch einiges über Elisabeth Steinmann erfahren.

Margret W. Simon

Elisabeth Steinmann, Ich bin so gerne alt: Lust und Last der späten Jahre, Campus Verlag Frankfurt/New York 1993, 129 Seiten, 26,00 DM.

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