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Ursula Sigismund

Foto: privat

Das Interview

Die Schriftstellerin Ursula Sigismund

In Darmstadt, Stadt der Künste, wie auch der Künstlerinnen, lebt Ursula Sigismund, die inzwischen 80-jährige Schriftstellerin. Sie begann sehr spät zu schreiben, da sie das Bedürfnis verspürte, sich über vergangene, schwierige Erlebnisse klar zu werden. Diesen Sommer erschienen zwei Bücher von ihr: Die Wiederauflage von "Zarathustras Sippschaft", einer Autobiografie, die ihre Kindheit und Jugend in Weimar beschreibt - unter dem Einfluss ihres Elternhauses und der Tante Elisabeth Forster-Nietzsche, Schwester des berühmten Philosophen Friedrich Nietzsche und als Neuerscheinung der Roman "Das alte Haus am Hang", in dem sie das Schicksal einiger Menschen fortspinnt, die in ihrem früheren Buch "Bedrängte Zeit" eine Rolle spielten und am Ende des zweiten Weltkriegs am Leben geblieben sind. Wir haben sie besucht und ein Gespräch mit ihr geführt.

Wie sah damals in Weimar Ihre Familiensituation aus?

Ich war damals die Älteste von fünf Geschwistern, ich habe Abitur gemacht und sehr schnell geheiratet und gleich ein Kind bekommen - einen Sohn - vielmehr, ich habe zuerst den bekommen und dann geheiratet. Das war damals nicht üblich. Auch, dass mein Mann noch Student war, fanden meine Eltern ein bisschen peinlich - kein Geld und längst keine Aussicht auf eine ordentlich Stellung, aber das Enkelkind haben sie gleich geliebt, und mir war diese Entwicklung recht, obwohl ich eigentlich das Bedürfnis hatte, etwas zu lernen, aber dann bekam ich im Laufe von sieben Jahren vier Kinder und hatte keine Zeit, etwas anderes zu sein als Hausfrau und Mutter. Vielleicht deshalb habe ich später das Schreiben so ernsthaft betrieben, weil ich merkte, dass ich mit meinen Fähigkeiten etwas anfangen musste. Wenn ich alleine geblieben wäre, hätte ich vielleicht sogar davon leben können.

Welchen Impulsen zu schreiben folgten Sie?

Ich muss gestehen, ich habe schon immer geschrieben. Als Sechsjährige Gedichte vom Rehlein im Wald, dann Geschichten für meine kleineren Geschwister und manchmal auch heimliche Gedichte, die ich niemandem zeigen wollte. Aber mein Vater hat mich ermutigt und hat sich immer gefreut, wenn ich bei langen Sonntagsspaziergängen ihm erzählt habe, was ich mir ausgedacht hatte. Viel später, nach dem Krieg, habe ich das Bedürfnis gehabt, so gewissenhaft wie möglich über die Nazizeit zu schreiben, aber ich wusste nicht, wie ich es machen sollte, weil ich zu wenig Erfahrung hatte und genau wie vorher immer zu wenig Zeit. Damals in Hamburg waren wir DDR- Flüchtlinge und lebten ärmlich und beengt, aber geschrieben habe ich trotzdem. Das war für mich selber eine erstaunlich Erfahrung. Morgens, wenn die Familie die Wohnung verlassen hatte - alle gingen zur Schule, auch mein Mann, der Deutschlehrer an einem Gymnasium war - dann räumte ich auf, so schnell ich konnte und setzte mich an den Schreibtisch, den viel zu kleinen, den ich mit meinem Mann teilte. Ich habe versucht, auf meine Art die Vergangenheit zu bewältigen, 12 Jahre Nazizeit und Krieg, aber zunächst wagte ich nicht, meine eigene Geschichte in Ich-Form zu erzählen; das habe ich erst später getan. Auch habe ich anfangs heimlich geschrieben, weil ich nicht wusste, was sich da entwickeln würde, aber eines Tages kam mein Mann dahinter und erkundigte sich, was ich denn da schriebe. Ich ihm etwas vorgelesen, etwa zehn Seiten, und er meinte, das könne etwas werden. Mach das weiter, sagte er, aber du benutzt zu viel Adjektive, die müssen gestrichen werden.

Und wie ist es weiter gegangen?

Dieses Romanmanuskript von über 300 Seiten hab ich dann drei Jahre später bei einem Preisausschreiben der Zeitschrift "Stern" eingereicht und zu meinem eigenen Erstaunen dafür einen Preis von 30.000 Mark bekommen. In der Jury saßen Leute wie Erich Kästner, Marcel Reich-Ranicki, Benno v. Wiese und Rudolf Walter Leonhard, und keiner von denen hat gewusst, wer ich bin. Da dacht ich schon, nun wäre ich eine gemachte Frau, aber der einzige Verlag, der Interesse an meiner Arbeit hatte, wurde an einen anderen verkauft, und dort passte es nicht mehr ins Programm.
Zunächst war ich natürlich enttäuscht und verärgert, auch weil ich noch viel an dem Manuskript gearbeitet und monatelang gewartet hatte. Dann habe ich mich hingesetzt und einen zweiten Roman geschrieben. Wir sind nach Darmstadt umgezogen und auf der Buchmesse habe ich ab und zu versucht, etwas unterzubringen. Das erste und auch das nächste Manuskript, habe ich unter den Arm genommen und bin zu Verlagen gegangen; das lag mir überhaupt nicht, und doch habe ich da schließlich etwas erreicht: Mein zweiter Roman mit dem Titel "Grenzgänger" und eine illustrierte Reisenovelle sind im Herder Verlag erschienen - das war mein eigentlicher Anfang. Viel später habe ich von Darmstadt aus mit einer Literaturgruppe im Gefängnis gearbeitet, habe deren Geschichten und Gedichte gesammelt und in Frankfurt einen Verleger dafür gefunden, der mich nach einiger Zeit fragte, ob ich nicht etwa Ungedrucktes in der Schublade liegen hätte, und dann hat er mein uraltes Manuskript veröffentlich - mit fünfundzwanzig Jahren Verspätung ("Bedrängte Zeit" - Anm. d. Red.).

Wie hat sich Ihr Umgang mit Sprache entwickelt?

Ich habe immer viel gelesen, denn ich stamme aus einer Familie, wo das selbstverständlich war. Bei uns standen überall Bücher herum, und außerdem hatte ich doch selber das Bedürfnis, mich schriftlich zu äu0ern. Wenn meine Sprache als besonders bildhaft bezeichnet wird, liegt das wahrscheinlich daran, dass ich ein gutes visuelles Gedächtnis habe. Wenn ich etwas erzählen will, habe ich stets auch Bilder vor Augen, die ich für meine Arbeit verwanden kann.

Haben sie sich durch die Verwandtschaft mit Nietzsche literarisch verpflichtet gefühlt?

Nein, das war eher umgekehrt. Gerade weil ich aus dieser Familie stammte, habe ich gefürchtet, mich lächerlich zu machen, wenn ich mich an den Schreibtisch setzen würde und so täte als ob. Dieser große Mann in der Familie hat mich gehemmt. Erst bei "Zarathustras Sippschaft" bin ich richtig mutig in das Thema eingestiegen, habe von Elisabeth erzählt, die sehr gut kannte und auch von Friedrich Nietzsche, der zwar schon 1900 gestorben ist, aber als große Gestalt sozusagen über uns schwebte.

Wie kamen Sie dazu, danach über die Malerin Suzanne Valadon zu schreiben?

Da ich mich für Malerei sehr interessiere und manchmal bedaure, nicht Kunstgeschichte studiert zu haben und außerdem den französischen Impressionismus besonders liebe, habe ich nach einer Malerin gesucht, die in Deutschland noch relativ unbekannt war - jedenfalls kannte man ihren Sohn, Maurice Utrillo hier besser als sie. Ich habe für dieses Buch viel und gewissenhaft recherchiert, aber nicht wissenschaftlich sondern es als "roman biographique" geschrieben, wie die Franzosen sagen: ich habe Suzannes Leben beschrieben, wie ich es mir vorstellte. Ich werde immer wieder gefragt, ob ich mich mit ihr identifiziere, aber das ist nicht der Fall: sie war ein Kind aus dem Volk, unehelich und arm, musste schon als kleines Mädchen Geld verdienen, hat bei vielen Malern in Montmartre Modell gestanden und sich auf diese Weise zur Künstlerin entwickelt - ein hochinteressantes buntes Leben. Ihre Ausbildung hat sie sich sozusagen bei den Arrivierten abgeguckt.

Gab es in Ihrer Familie oder in Ihrem Umkreis Frauen, die für Sie Vorbilder waren?

In meiner Familie eigentlich nicht. Da waren sie alle nette, gebildete, tüchtige Familienfrauen. Wie sie wollte ich nicht werden, aber auch nicht wie Elisabeth, Nietzsches Schwester, die in Weimar das Archiv gegründet hat und es führte. Obwohl wir sie mochten und ihren Eifer manchmal bewunderten, haben wir aus auch auf eine liebevolle Art über sie lustig gemacht. Aber auf Lou Andreas Salomé (Schriftstellerin und Freundin von Nietzsche) war ich neugierig, nur habe ich zu wenig über sie erfahren; die allerdings war eine wirklich großartige Frau und ich habe versucht, mir aus Briefen und Büchern herauszusuchen, wie sie gewesen ist. Bei Elisabeth und im Archiv war sie verpönt - eine Unperson.

Wie stand Ihr Mann zu Ihrer schriftstellerischen Arbeit?

Er fand gut, dass ich so etwas machte. Du bist ja so fleißig, sagte er oft, du packst das schon. Aber auch ein bisschen eifersüchtig war er auf meine Arbeit, als sie nach und nach besser wurde. Eigentlich schade. Einerseits hat es ihn gefreut, eine ungewöhnliche Frau zu haben und andererseits schien er zu denken: Ich bin ja schließlich auch nicht irgendwer ...

Haben sie schon Pläne für ein neues Buch?

Noch habe ich zu wenig Zeit. Es gibt so viel Praktisches zu erledigen seit mein Mann gestorben ist und außerdem habe ich nicht genug Abstand. Vielleicht sollte ich seine Krankengeschichte aufschreiben, nicht aus ärztlicher Sicht, sondern aus unserer, seiner und meiner, weil ich mir in den drei schweren Jahren viele Gedanken gemacht habe, was dahinter steckte. Warum hat er sich so fallen lassen? Lag das nur an den Operationen und an seinem Alter? Warum und wann lässt ein Mensch sich fallen? Vielleicht muss ich das schreiben, egal ob jemand es druckt, es muss geschrieben werden, denke ich jetzt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Anja Spangenberg, Angelika Wirsel

Lieferbare Bücher von Ursula Sigismund:

  • Zarathustras Sippschaft, Kranichsteiner Literatur Verlag 1992, 25,80 DM
  • Das alte Haus am Hang, Brandes & Apsel, 1992, 29,80 DM
  • Bedrängte Zeit, Brandes & Apsel, 1988, 29,80 DM

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