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Weder Amt noch Ehre

Sehen wir uns einmal um, so begegnen wir überall Menschen, die ehrenamtliche Arbeit leisten: Es gibt fast keinen Bereich des gesellschaftlichen Lebens, aus dem ehrenamtliche Arbeit - kurz Ehrenamt genannt - wegzudenken ist. Ob in der Freizeit, im Sozial- und Gesundheitsbereich, ob in der Politik, in der Gewerkschaft, in der Kirche bis hin zu Umwelt- oder Frauenorganisationen, überall ist das Ehrenamt unverkennbar ein bedeutendes Element unseres gesellschaftlichen Lebens. Aber was ist eigentlich ein Ehrenamt, worin unterscheidet es sich von anderen (nicht ehrenamtlichen) Tätigkeiten, wer übt es aus und warum? Diesen Fragen wollen wir im Folgenden nachgehen, speziell unter dem Blickwinkel der ehrenamtlichen Arbeit von Frauen.

Die ältere Wurzel des Ehrenamtes ist in der Caritas, der christlichen Nächstenliebe, zu finden. Beispielhaft sei hier Elisabeth, die Landgräfin von Thüringen (1207-1231), genannt, die Geld, Essen und Trinken in einem Ausmaß an Notleidende verschenkte, dass sie mit ihrer nächsten Umgebung in Konflikt geriet.

Die jüngere Wurzel des Ehrenamtes reicht in die Zeit Friedrich des Großen (1712-1786). Sein Ansehen war so groß, dass das "Arbeiten für den König von Preußen" als hohe Ehre galt. Allerdings blieb es schon damals den Zeitgenossen nicht verborgen, dass sie ihre Leistung ohne jede Gegenleistung (materieller Art) erbrachten.

Im folgenden Jahrhundert gewann das Ehrenamt eine immer höhere, zugleich aber gewandelte Bedeutung, wurde es doch zum Leistungsnachweis des aufsteigenden Bürgertums: Je höher die soziale Stufe, umso größer die Zahl der Ehrenämter. Damit war es den unteren gesellschaftlichen Schichten weitgehend verwehrt, ein Ehrenamt zu versehen. Dies hat sich zunehmend gewandelt, obgleich auch heute noch vielfach eine möglichst sichere finanzielle Grundlage die Voraussetzung für ehrenamtliches Arbeiten ist.

Grundsätzlich unterscheiden wir Arbeit, die entgeltlich (d.h. gegen finanzielle Vergütung) und Arbeit, die unentgeltlich erbracht wird. Aber bringen ehrenamtlich Tätige nicht gleichermaßen all das mit, was als Grundlage des Gelderwerbs und damit als Leitungsnachweis in unserer Gesellschaft gilt: nämlich die Qualifikation (Kenntnisse, Fähigkeiten), Arbeitswillen und Zeit?

Warum reicht die entgeltliche Arbeit nicht aus, um alle Bereiche - sprich Bedürfnisse - des gesellschaftlichen Lebens abzudecken? Leistung im Sinne von entgeltlicher Arbeit und Wettbewerb ist doch die Grundlage unserer Gesellschaft. Ist hier nicht ein gewaltiges Defizit an Leistung der Gesellschaft für die Gesellschaft vorhanden, welches durch die ehrenamtliche Arbeit, wenn nicht ausgeglichen, so doch gemildert wird? Beispielsweise wären weite Teile unserer sozialen Dienste ohne ehrenamtliche Helferinnen gar nicht leistungsfähig (etwa in der Kranken- und Altenpflege).

Es sind gerade Frauen, die zum Wohle aller unentgeltliche Arbeit leisten, die diesen Widerspruch zwischen von der Gesellschaft gewünschten Leistungen und den tatsächlich (durch entgeltliche Arbeit) erbrachten Leistungen feststellten. Diese Frauen haben aber auch realisiert, dass die ehrenamtlich Arbeitenden überwiegend Frauen sind, die hauptamtlich bezahlten Stellungen im öffentlichen Leben - sei es in Verbänden, Vereinen, Kirchen etc. - jedoch überwiegend von Männern besetzt sind. Doch welche Motive haben Frauen, meist ohne soziale Absicherung unentgeltlich Leistung für die Gesellschaft zu erbringen?

Motive für ehrenamtliche Arbeiten

Die Motive von Frauen, sich ehrenamtlich zu betätigen, sind abhängig von ihrer jeweiligen Lebenssituation. Dabei spielen viele Faktoren - sowohl materielle (z.B. gesicherte finanzielle Grundlage) als auch nicht materielle, auf die wir hier nicht alle eingehen können, eine Rolle: So kommt für viele Frauen irgendwann ein Augenblick, wo sie sich fragen: Soll das alles gewesen sein? Was kann ich tun, was anderen (Frauen) zugute käme? Soll ich mich im sozialen Bereich engagieren oder soll ich für die Interessen von Frauen in einem Frauenverband arbeiten? Wie kann ich - gleich in welchem Bereich - mich durch meinen Einsatz an der Gestaltung des öffentlichen Lebens beteiligen?

Oft ist es ein äußerer Anlass: die Kinder sind bereits größer oder verlassen das Haus, ein Krankheits- oder Todesfall im Verwandtschafts- oder Bekanntenkreis (meist ein Motiv bei der Gründung von Selbsthilfegruppen) oder eine Freundin oder Bekannte, die bereits engagiert ist, gibt einen Anstoß, der die Frau dazu bewegt, sich in welcher Weise auch immer zu engagieren. Das Bedürfnis nach neuen Kontakten, nach Information und Diskussion mit anderen ist ebenso bei den Motiven zu finden wie der Wunsch nach Selbstverwirklichung und Anerkennung. Sie alle streben nach einem Pendant zu ihrer bisherigen Tätigkeit - sei es als Hausfrau oder in einen anderen Beruf. Doch was bringt ihnen ihr Ehrenamt tatsächlich?

Weder Amt noch Ehre

Ehrenamtliche Tätigkeit ist unbezahlte Arbeit, die anderen Menschen direkt (z.B. in der Kranken- oder Altenpflege) oder indirekt (etwa in der Frauenpolitik) zugute kommt. Dazu einige Zahlen (Stand 1985):

  • Ehrenamtliche Arbeit wird zu 80 % im sozialen Bereich ausgeübt;
  • rund 1 Million Frauen arbeiten allein in kirchlichen Einrichtungen und Wohlfahrtsverbänden ehrenamtlich;
  • allein diese Arbeiten erbringen insgesamt eine geschätzte volkswirtschaftliche Gesamtleistung von 2-3 Milliarden DM pro Jahr;
  • die im Deutschen Frauenrat organisatorisch vereinigten Frauenverbände repräsentieren insgesamt ca. 10,5 Millionen weibliche Mitglieder.

Wir sehen, das ist ein riesiges Potential auch dann, wenn verschiedene Frauen doppelt oder mehrfach berücksichtigt wurden (etwa Mitgliedschaften in mehreren Verbänden). Was wäre, wenn die Frauen ihre unbezahlte Arbeit einstellen würden? Welche Folgen hätte dies für die Gesellschaft als Ganzes?

Wir wollen dabei nicht auf die positiven Seiten eingehen, die ehrenamtliche Tätigkeit zweifelsohne für viele Frauen mit sich bringt, sondern auf die gesellschaftlichen Komponenten. Wie sähe es beispielsweise in den Kassen der öffentlichen Haushalte oder der Institutionen (Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Rote Kreuz etc.) aus, die ehrenamtliche Tätigkeit in Anspruch nehmen bzw. sogar von ihr existieren? Wie viele Verein gäbe es überhaupt noch? Man denke nur einmal an die eingesparten Personalkosten im sozialen Bereich, weil entsprechend bezahlte Arbeitplätze entweder gar nicht existieren oder sogar abgebaut werden können (Problematik steigender Kosten in der Kranken- und Altenpflege).

Schließlich stellt ehrenamtliche Arbeit auch einen Wirtschaftsfaktor dar, da zu ihrer Erbringung Aufwendungen entstehen (für Fahrtkosten, Tagungen, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, Kommunikationsmittel, Verpflegungskosten etc.), die sich im gesamtwirtschaftlichen Konsum wiederfinden. Die Frauen wenden Geld und Zeit für etwas auf, wofür sie an anderer Stelle Geld verdienen könnten, mit allen entsprechenden Absicherungen (z.B. Rentenansprüche). Betroffene sagen: "Kein Ehrenamt mehr, da bring ich noch Geld mit!" oder es heißt: "Das habe ich nicht geahnt, was da auf mich zukommt!" Denken wir an die zusätzliche finanzielle Belastung für Fahrtkosten, Ausstattung mit Hilfsmitteln, Telefon etc ... Hier mehren sich die Stimmen (etwa des Deutschen Frauenbundes), die eine Änderung in der Ungleichverteilung von Amt und Ehre fordern, eine neue Einstellung zum Ehrenamt erkennen lassen. Dabei geht es insbesondere um folgende Problemstellungen:

  • Anerkennung ehrenamtlicher Arbeit in der Sozialversicherung;
  • Absicherung durch eine Unfallversicherung (besteht bisher überwiegend nur bei Tätigkeiten in der Freien Wohlfahrtspflege und Körperschaften des öffentlichen Rechts);
  • Erstattung der Auslagen bei der Ausübung eines Ehrenamtes bzw. Aufwandsentschädigungen: Hier bestehen Ansprüche der Mitglieder gegen ihre Verbände auf die Erstattung gewisser Kosten (Informationsdefizit);
  • Steuerliche Begünstigung, betrifft die steuerliche Anerkennung von ehrenamtlichen Tätigkeiten, z.B. die steuerfreie Aufwandsentschädigung und die Nutzungspauschale für private Räume;
  • Anerkennung des Ehrenamte im Beruf bzw. bei der Ausbildung: Formale Anerkennung der erworbenen Fähigkeiten und Erfahrungen als Qualifikationsvoraussetzung bei der Aufnehme eine Berufstätigkeit (Wiedereinstieg) oder als Zugangsvoraussetzung für eine Berufsausbildung. Bei der Ausbildung für einen sozialen Beruf ist die Anerkennung der ehrenamtlichen Tätigkeit als Praktikum zu fordern.

Mit der Erfüllung dieser Forderungen soll sichergestellt werden, dass auch in Zukunft das notwendige ehrenamtliche Engagement nicht nur erhalten, sondern ausgebaut werden kann. Dabei sind alle Betroffenen gleichermaßen angesprochen: der Staat als Gesetzgeber, die entsprechenden Institutionen als "Quasi-Arbeitgeber" ehrenamtlicher Arbeit und nicht zuletzt die ehrenamtlich Tätigen selbst (auf Aufklärung, Einarbeitung und Absicherung zu drängen etc.).

Stärker als bisher ist das Ehrenamt als gesellschaftlich besonders wichtige Aufgabe anzuerkennen und zu fördern; es darf nicht als Ersatz für bezahlte Arbeit den Frauen zugewiesen werden. Als Aufgabe aller ist es von Frauen und von Männern auszuüben, auf allen Ebenen gleichermaßen (verstärkte Besetzung leitender ehrenamtlicher Positionen mit Frauen).

PS: Auch die Zeitschrift konnte nur ins Leben gerufen werden, indem sich Frauen ehrenamtlich engagieren.

Brigitte May-Hofmann

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